Schalamow: Durch den Schnee. Geschichten aus Kolyma 1

 Warlam Schamalow, einer der bedeutendsten und zugleich unbekanntesten großen Autoren des letzten Jahrhunderts wurde 1907 als jüngster Sohn eines orthodoxen Priesters und einer literarisch interessierten Mutter in Wagoda im Nordosten des europäischen Russlands geboren. Er ging nach Moskau, studierte Jura und engagierte sich als Teil der linken Opposition gegen die sich andeutende Alleinherrschaft Stalins. Im Jahre 1929 geriet er in die Fänge der GPU und des Gulag Systems, das ihn die nächsten 25 Jahre nicht mehr loslassen sollte. Einen Großteil dieser Zeit verbrachte der Autor in Kolyma, dem „Auschwitz ohne Öfen“, dem schrecklichsten aller Gulag-Standorte im äußersten Nordosten Sibiriens. Rehabilitiert wurde er erst in der Entstalinisierungsphase unter Chruschtschow, durfte aber auch dann nur (wie Grossmann) unter äußerster Zurückhaltung publizieren, was unter anderem den Konflikt mit dem viel entschiedener auftretenden Alexander Solschenizyn erklärt.

Kennzeichnend für Schalamows Geschichten aus Kolyma ist ein lakonischer, zurückhaltender, mitunter auch poetisch reflexiver Erzählstil,  der einen merkwürdigen Kontrast zu den schrecklichen Gegebenheiten  des Lagers aufbaut und gerade deswegen umso eindringlicher wirkt.  In 34 Anläufen, genauer gesagt: in 34 Kurzgeschichten umkreist Schalamow das Phänomen des Lagers in sehr eindringlichen Geschichten, erzählt von Ärzten, Dieben, Mördern, Mithäftlingen, der Kälte, dem Hunger und dem Tod und gelangt dabei immer zum gleichen Fazit: „Das Lager ist von A bis Z eine negative Schule des Lebens. Niemand nimmt von dort etwas Nützliches und Notwendiges mit, nicht der Häftling, nicht sein Chef, nicht die Bewacher, nicht die unfreiwilligen Zeugen – Ingenieure, Geologen und Ärzte – weder Chefs noch Untergebene. Jeder Moment des Lagerlebens ist ein vergifteter Moment.“ Niemand wird die literarischen Miniaturen des sowjetischen Gulags ohne Anteilnahme lesen können, ihre Protagonisten wirken wie zerschmetterte Atome in einer Anti-Welt, sie besitzen keine Vergangenheit und keine Zukunft und existieren nur aus dem Impuls heraus, den nächsten Tag zu überleben.

Das Thema verbietet es, irgendwelche „Lieblingsgeschichten“ zu benennen. Trotzdem möchte ich auf drei Kapitel hinweisen, die mich besonders beeindruckten: „Goldene Taiga“, in der Schalamow darstellt, wie gleichgültig die Schönheit der Natur sich gegenüber dem menschlichen Elend verhält, und „Rotes Kreuz“, eine prägnante Beschreibung der „Ganovenstruktur des Lagers. Im letzten Kapitel „Was ich im Lager gesehen und erkannt habe“ resümiert der Autor in 46 Merksätzen die Quintessenz seines Lagerlebens.

Ein Glossar und eine Anmerkungsapparat zu den einzelnen Geschichten runden das Buch ab. Das sehr kundige und einfühlsam verfasste biografische Nachwort von Franziska Thun-Hohenstein ordnet das Werk Schalamwos in die zeitgeschichtlichen und literaturwissenschaftlichen Bezüge ein. Alles in allem für mich eines der ganz großen Bücher unserer Zeit.

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