Schelsky: Die Arbeit tun die anderen

Schlesky Die Arbeit tun die anderenEines der wichtigsten Bücher der Gegenwartssoziologie ist mittlerweile über dreißig Jahre alt und fast vergessen. Man mag dies bedauern, aber niemand, der das Buch gelesen hat, wird sich darüber wundern. Denn es handelt von der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit durch eine Intellektuellenelite, deren Erfolg sich unter anderem auch daran bemisst, dass Bücher wie das vorliegende Werk von Helmut Schelsky möglichst vollständig im Orkus der Nichtbeachtung und des Totschweigens verschwinden. So ist Schelskys Werk zu einer Art Schwanengesang der großen deutschen Soziologie geworden, die über Weber, Simmel, von Wiese bis hin zu Schelsky und Gehlen führt, und deren letzter großer Protagonist in dem vorliegenden Buch am Ende ihrer öffentlichen Wirksamkeit noch einmal die Herrschaftsstrukturen der erfolgreicheren Intellektuellenfraktion bloßlegt.
Das Thema des Buches scheint zunächst überraschend – es geht um Herrschaft, aber nicht um weltliche sondern um geistliche Herrschaft, m. a. W.: um die Heraufkunft einer neuen Sozialreligion samt ihrer Verkünder, die zum Zeitpunkt der Abfassung des Buches dabei waren, die Sinngebungs- und Wertungskompetenz über die Gesellschaft an sich zu reißen. Man muss nicht lange raten, wer gemeint ist: es handelt sich um die Frankfurter Schule, deren Adepten im Namen von Emanzipation, Gleichheit, sozialer Gerechtigkeit und Bedürfnisbefriedigung die Kontrolle über die Schaltstellen in Kultur, Medien, Gewerkschaften, Schulen, Universitäten und Politik anstrebten. Die Beschreibung dieses Vorgangs ist von heute aus wie eine Geistesgeschichte der Siebziger Jahre zu lesen, mit Böll, Grass, Habermas, Spiegel und Stern und all den Leitfiguren und Leitmedien der sozialliberalen Weltanschauung an ihrer Spitze. Ich finde das Buch ungemein dicht und anspruchsvoll geschrieben, seine zahllosen Beispiele sind überzeugend, und am Ende bleibt nur die Frage: hat Schelsky recht behalten?
Leider ja. Eine Generation nach dem Erscheinen des vorliegenden Buches ist der Sieg dieser neuen Sozialreligion und ihrer Priesterkaste fast vollkommen. Bis in die Schulbücher (eigentlich die Gesangbücher der neuen Sozialreligion ) hinein, wird das Lied der harmonischen Gutmenschenwelt immer aufs Neue intoniert, aber wehe, es taucht irgendwo ein abweichender (ketzerischer ) Gedanke auf, dann wird dieser Ketzer mit der Peitsche der political correctness oder der „Auschwitzkeule“ ( Martin Walser ) schnell zur Raison gebracht. Übrigens ist es inzwischen fast zum Erkennungsmerkmal dieser Sozialreligion geworden, dass sie zwar den kommunikativen Diskurs in den Rang eines Dogmas erhoben hat, ihn aber sofort abbricht, wenn es darum geht, ihre eigenen Prämissen zu diskutieren. Auch die Arbeit tun noch immer die anderen, während es die kulturellen und politischen Eliten besser denn je verstehen, ihren fetten Rahm aus diesen Erträgen schon abzuschöpfen.
Gibt es denn gar keine Hoffnung, möchte man da 30 Jahre nach dem Erscheinen dieses Buches fragen. Doch, würde Schelsky wahrscheinlich antworten, aber nur, wenn sich eine andere, neue Sozialreligion durchsetzt. Ob die aber „besser“ ist, kann niemand wissen. Dass es so etwas wie eine siegreiche Aufklärung auf dem Hintergrund nachprüfbarer Rationalität geben könnte, ist, so Schelsky, eher unwahrscheinlich. Umso ehrenwerter, dass er dieses Buch geschrieben hat. Auch wenn es bei Amazon inzwischen gebraucht nur noch 0,77 Euro kostet.Schlesky Die Arbeit tun die anderen

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