Schneider: Schlafes Bruder

Schneider Schlafes BruderNur alle Jubel Jahre gelangt ein wirklich bemerkenswertes Buch auf den Markt, das dann auch einschlägt wie eine Bombe. Aber ehe dies geschieht, werden diese Bücher von den Verlagen dutzendweise abgelehnt, weil die Veröffentlichungsplätze bereits von Bonsai-Giganten des literarischen Feuilletons besetzt sind. So war es auch bei dem vorliegenden Buch, das sage und schreibe von 23 Verlagen abgelehnt wurde, ehe es endlich einen Verleger fand.
Jedem, der auch nur wenige Seiten in dem Buch liest, wird dies erstaunen, denn in „Schlafes Bruder“ dominiert von Anfang an ein ganz eigener Ton, der den Leser nicht mehr loslässt, eine bewusst stilisierte altertumelnde Erzählhaltung, die mit Schauplatz und Thematik herrlich harmoniert.
Worum geht es? In einem angelegenen Schweizer Bergdorf wächst der kleine Johannes Elias Alder als zweiter Sohn des Seff und der Seffin heran, ein wundersames Kind vollkommen abgedrehter Eltern, das mit gelben Augen seine Umgebung verwirrt, die ganze Nacht durchsingt und bald sein außerordentliches musikalisches Genie erkennen lässt. Umgeben von den Eschberger Bauern mit ihren überdehnten Unterlippen, geschwellten Köpfen und ihrer inzuchtbedingten Verblödung, geplagt von Feuersbrünsten, religiösem Wahn und dem falschen Freund Peter lauscht der junge Alder den Stimmen der Tiere, dem Wachstum der Pflanzen, dem Rauschen des Windes, leidet unter der Ausgrenzung der Unbegabten, dem Hass der Mutter und dem falschen Spiel des Dorflehrers, ehe er dessen Nachfolger wird und in einer kurzen glücklichen Zeit zum Dorforganisten von Eschberg aufsteigt. Seine Fugen verwandeln sogar die pöbelnden Bergbauern in höfliche Kirchgänger, seine Liebe zur Musik veredelt auch die verstocktesten Menschen in seiner Umgebung. Tragisch wird Alders Geschick, weil seine musikalische Passion sich mit seiner Liebe zur schönen Elsbeth kreuzt, die aber leider – im Unterschied zur gleichnamigen und ganz ausgezeichneten Verfilmung des Buches – nicht erwidert wird, so dass das junge Naturgenie nach seinem Triumph beim Organistenwettbewerb von Feldberg einen mystisch umflorten Freitod wählt.
Was hier in dürren Worten umrissen wird, tritt dem Leser in dem vorliegenden Buch wie ein grandios geschmückter literarischer Gabentisch entgegen. Seine Bestandteile sind eine ganze Galerie obskurer Gestalten, kaum überbietbar pittoresken Szenerien und eine faszinierende Aura die man nicht beschrieben kann, sondern die man lesend erleben muss (darf). Das ideale Buch für ruhige Weihnachtstage.

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