Scholl Latour. Der Fluch des neuen jahrtausends. Eine Bilanz

Scholl Latour JahrtausendBei dem vorliegenden Buch, so der Autor in seiner Einleitung, „handelt es sich um ein Kaleidoskop von Kommentaren, Fernseh-Dokumentationen, Texten, Reportagen und Interviews. Sie sind in chronologischer Reihenfolge und ohne jede nachträgliche Berichtigung abgedruckt.“ (S. 10).

Kann das gut gehen? Eine Zweitverwertung, bestehend aus über einhundert Texten zwischen zwei bis acht Seiten, die von Timor nach Pakistan, von China ins Kosovo und den Vereinigten Staaten nach Indien, Israel und in den Kaukasus springen? Dreimal ja, denn die Beibehaltung der Chronologie zwischen Juni 1999 und Oktober 2001 bei einem geradezu rasenden Wechsel der Schauplätze entpuppt sich bei der Lektüre als ein geradezu ideales Stilmittel, um die Dramatik des internationalen Systems zu verdeutlichen. Dreimal ja, denn jede dieser mitunter recht kurzen Skizzen ist auch für sich uneingeschränkt lesenswert und zeigt den Autor auf der Höhe seiner Sachkenntnis und seiner Einsicht.

Was sind die Klammern, die das Buch zusammenhalten – mit anderen Worten: welche Grundstrukturen des internationalen Systems schälen sich am Beispiel zahlreicher Konflikte immer aufs Neue heraus? Soweit ich das überblicke, sind es im wesentlichen vier folgenschwere Tendenzen:
1) der Aufstieg Asiens, und insbesondere des chinesischen Kolosses,
2) die Herausforderung durch den islamistischen Terrorismus, ursächlich verbunden mit der demographischen Expansion des islamischen Kulturkreises und seiner Innovationsschwäche,
3) die Überspannung der US-amerikanischen Kräfte bei dem Versuch, der eigenen weltweiten Hegemonialrolle gerecht zu werden und last not least
4) die Krise und der Abstieg Europas, insbesondere der Niedergang der europäischen Idee im Gefolge der planlosen EU-Erweiterung.
Es handelt sich dabei um genau die Strukturelemente, die auch Samuel Huntington in seinem Klassiker „Kampf der Kulturen“ als Grundprobleme der internationalen Politik definiert hat.

Ich habe mir das Buch als Vorbereitung einer Reise nach Albanien, Bosnien und Mazedonien gekauft und in den zahlreichen Kapiteln, die von diesen Ländern handeln, überraschende Einsichten gefunden, die es in dieser Form in den etablierten Medien bisher nicht zu lesen gab. Genauso gut aber lässt sich das Buch als als eine Einführung in die indische, chinesische oder afrikanische Themenstellungen lesen. Alles in allem handelt es sich um nicht weniger als um eine sprachlich exzellent aufbereitete und blitzgescheite Einführung in Grundprobleme der internationalen Politik, vermittelt aus der Perspektive eines sachkundigen Kenners vor Ort, der sich kein x für ein u vormachen lässt. Dass dieser Beobachter dabei immer wieder die Erfahrung macht, „dass die Welt nicht gut und die Menschheit nicht lieb ist“ (S.9) dürfte nur Linke und Gutmenschen überraschen. Aber die lesen solche Bücher ohnehin nicht.

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