Sinn: Der schwarze Juni

SinnIch erinnere mich noch gut daran, wie  in den späten Neunziger Jahren im Vorfeld der Euro-Einführung die Maastricht-Verträge diskutiert wurden. Sie sollten durch ihre Stabilitätskriterien gewährleisten, dass der Euro eine ebenso stabile Währung werden würde, wie die DM. Die Staaten sollten ihre Neuverschuldung unter 3 % des BIP halten, ihre Gesamtverschuldung  dürfe 60 % des BIP nicht überschreiten – und vor allem: Die Staatsfinanzierung durch die Notenpresse (sprich: der Ankauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank) war strikt verboten. Niemand, wirklich niemand hätte sich damals vorstellen können, wie vollständig und schamlos dieses Versprechen der Politik gebrochen werden würden.  Die Stabilitätskriterien sind längst Makulatur, außer Deutschland hält sich praktisch niemand mehr an diese Vorgaben- und was das Schlimmste ist: die europäische Zentralbank, die die Hüterin eines stabilen Euro sein sollte, pumpt mittlerweile in einem gigantischen Staatsanleihenaufkaufprogramm jeden Monat 60 bis 80 Milliarden Euro in die Märkte.  Da die EZB durch ihr Staatsanleihenaufkaufprogramm finanzielle Repression betreibt, d. h. die Zinsen auf null drückt, schrumpft in den europäischen Ländern die die Altersversorgung einer  ganzen Generation. Gewaltige Vermögenspreisblasen deuten sich an, deren Platzen unabsehbare Folgen haben wird.

Niemand wird sagen können, man habe es nicht gewusst, denn seit Jahren warnen alle namhaften Ökonomen vor dieser Politik. Einer der bekanntesten und kompetentesten dieser Warner ist Professor Hans Werner Sinn, der ehemalige Leiter des Ifo-Institutes in München, der schon seit Jahren versucht, wenigstens ein wenig Licht in den wirtschaftstheoretischen Dämmerzustand des Publikums zu bringen. Diesem Ziel dient auch sein neues Buch „Der schwarze Juni“.

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Es handelt von zwei epochale Entscheidungen des Juni 2016: erstens dem Austritt Großbritanniens aus der EU (für Sinn eine direkte Folge der institutionellen und politischen Mängel der Europäischen Union) und zweitens um das fatale Urteil Bundesverfassungsgericht über das Staatsanleihenkaufprogramm der EZB. Epochal sind diese Entscheidungen nach Sinn gleich aus mehreren Gründen. Zunächst, weil mit Großbritannien ein Land aus der Europäischen Gemeinschaft ausscheidet, dass als sogenanntes „Freihandelsland“ zusammen mit Deutschland, den Niederlanden und Finnland über eine Sperrminorität gegenüber den staatsdirigistischen Schuldenländern des Südens (Frankreich, Italien, Griechenland und andere) verfügt, die nun wegfalle. Nun seien Mehrheitsentscheidungen des Ministerrates gegen die solide wirtschaftenden Staaten des Nordens möglich, was den Trend zur Transferunion weiter beschleunigen werde.

Noch verhängnisvoller sei die Entscheidung des BVG, die praktisch den Maastrichter Vertag beerdigt habe. Diese Entscheidung, nach der das hemmungslose Gelddrucken durch die Europäische Zentralbank zugunsten der hochverschuldeten Länder entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des Maastrichter Vertrages  juristisch in Ordnung sei, führe zu einer massiven Ressourcenverschiebung zugunsten der verschuldeten Südländer. Diese rechtlich kaum nachvollziehbare Entscheidung bilde einen neuen massiven Anreiz zu IMG_0032noch weitergehenden Staatsverschuldung, denn der gleich nach der Griechenlandrettung von Frau Merkel auf den Weg gebrachte „gehärtete“ Stabilitätspakt sei das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt sei. Keine Nation  halte sich an diesen Pakt, außer eben den Deutschen, die aber ihre ersparten Ressourcen dann wieder zugunsten der Schuldenländer ins Ausland transferieren müssen.

Ist deswegen der Euro nun entgültig gescheitert? fragt Professor Sinn. Ja, wenn so weitergeht, lautet die Antwort, es sei denn, man entschließe sich endlich zu grundlegenden Reformen der Europäischen Union, zu einem neuen „Gründungsvertrag“, dessen Inhalt Professor Sinn wie folgt umreißt: Der Ein- und der Austritt von Staaten aus der Eurozone muss erleichtert werden. Wer den Vorgaben des zu erneuernden Stabilitätspaktes nicht fokge, wer über seine Verhältnisse lebe und/oder unter den Währungsparitäten leide, solle eben austreten, bis er den Ansprüchen wieder genügen könne und wolle. Sodann benötige man eine  „Konkursordnung“ für Staaten, damit nicht mehr die EuropafahneSteuerzahler, sondern die Investoren für eventuelle Pleiten von überschuldeten Ländern haften müssen. Man denke nur daran, wie die französischen Banken die Haftung für ihre griechischen Schrottpapiere den europäischen (sprich: vor allem den deutschen) Steuerzahler aufgebürdet habe. Die politischen Entscheidungen müssten sich stärker an der tatsächlichen Bedeutung und Größe der Akteure orientieren. Und last noch least müsse die „soziale Inklusion“ aufgegeben werden, d. h. ein  arbeitsloser Pole in Deutschland solle nur das polnische und nicht das deutsche Arbeitslosengeld erhalten, was automatisch dazu führen würde, das langzeitarbeitslose EU-Binnenmigranten in ihr Heimatland zurückkehren und ein  wesentlicher Kritikpunkt populistischer Parteien an Europa  wegfallen würde.

Gegen diese Vorschläge kann kein Mensch, der noch seine fünf Sinne beieinander hat, etwas sagen. Trotzdem werden sie ungehört verhallen. Die proeuropäische Einheitspolitik des deutschen Bundestages und der deutsche Bundesregierung folgen anderen Zielen, die von den öffentlich rechtlichen Medien und den maßgeblichen linksliberal-rotgrünen Presse unentwegt als „alternativlos“ propagiert werden. Mehr Europa, mehr Investitionen (sprich:EZB Verschuldung), mehr Gleichheit (sprich: Transfer), mehr „Buntheit“ (sprich: Zuwanderung) und so weiter. Der europäische Apparat, losgelöst von den Bedürfnissen des einfachen Bürgers, kreist immer abgehobener wie ein Planet über Europa. Er gleicht einer Crew, die ohne Kompetenz ein Flugzeug steuert und die dem schwindenden Kerosinvorrat mit Formelkompromissen zu begegnen sucht. Und die Passagiere in der Economy Class ahnen nichts Schlimmes.

Das Schicksal des osteuropäischen Kommunismus zeigt immerhin, dass es möglich ist, sich lange Zeit mit politischen Notmaßnahmen gegen fundamentale wirtschaftliche Zwänge zu behaupten  (immerhin ein halbes Jahrhundert!). Aber eben nur eine Zeitlang. Der Crash kommt bestimmt, und dann sage niemand, man habe es nicht gewusst.

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