Stephen Vicinczey: Wie ich lernte die Frauen zu lieben

Dieses Buch erhielt ich am 9. Juni 2006 von Thomas zum Geburtstag, der in dieser Phase seines Lebens mit der adäquaten „Liebe zu den Frauen“ so seine Probleme hatte. Es handelt sich um die Neuübersetzung eines Werkes, das im Jahre 1965 unter dem Teil erheblich zutreffenderen Titel „Praise of older Woman“ in Toronto im Selbstverlag erschienen war und  mehrere Neuauflagen  erlebte (Deutsche Erstausgabe 1967: „Frauen zum Pflücken“). Thema des Romans ist die Lebensgeschichte des Ungarn Andras Vajda, der als kleiner Junge  im wundervollen Budapest der Vorkriegszeit im Schoße einer Gemeinschaft erwachsener  Frauen aufwächst und auf diese Weise eine lebenslange Vorliebe für reife Frauen in der Blüte ihrer Jahre erwirbt. Diese Option für ältere und sinnliche Frauen erscheint in dem vorliegenden Buch allerdings auch als die Kehrseite eines wachsenden Befremdens über das Verhalten junger Mädchen, die die jungen Männer in ihrer backfischhaften Zickigkeit bis zur Weißglut quälen.  Ein wenig fühlt man sich an Montherlands „Erbarmen mit den Frauen“ erinnert, nur dass es hier eigentlich heißen müsste: Erbamen mit den Männern, die sich mit diesen unberechenbaren Eitelkeitskügelchen abgeben und dabei „mit den Augen geprügelter Hunde“ durch die Gegend laufen müssen. Und wenn es dann wirklich zum ersten Liebeserlebnis kommt, ist es keine Offenbarung sondern ehe eine Veranstaltung, bei der, so Vicenczeys Metapher, zwei Nichtschwimmer in einem wunderbaren Ozean der Leidenschaft herumstrampeln. Welch ein Unterschied dagegen, wenn sich die edle Gräfin im ungarischen Kriegsgefangenenlanger im Gestus  reifer Fraulichkeit ganze einfach mal den vorlauten Specht des frühreifen Andras zur Brust nimmt. So etwas beeindruckt Andras ungemein, ebenso wie seine zweite große Erfahrung mit Mayta, einer verheirateten Frau, die dem heranwachsenden Andras zuerst in ihre Bibliothek und dann in ihr Bett öffnet. Sie ist der Prototyp der  verheirateten Geliebten, „die ganz einfach zu viel anderes zu tun hat, als ihre Liebhaber zu verschleißen“. Dergleichen Frauen sind höhere Wesen, von der Natur dazu ausersehen, die Spezies der jungen Männer auf die angemessene Pfade körperlicher Erfüllung zu führen. In der Universität, den ungarischen Badeanstalten oder auf den Wiesen der Margaretheninsel trifft der immer kessere Andras reihenweise die Frauen, mit denen er dieses Leben leben kann.

Die Episoden, in denen der Autor diese Affären schildert, sind kurzweilig zu lesen,  und keinerlei Liebe stört den Rhythmus von Kommen und Gehen, Vereinigen und Trennen. Allerdings, das möchte ich als Leser an dieser Stelle anmerken, eignet ihnen auf die Dauer  auch  etwas Seichtes. Wahrscheinlich müsste man, um dieses „Lob der älteren Frau“  als Ganzes zu begreifen, Vicenczeys Buch mit bestimmten Stellen aus den Romanen von Milan Kundera parallelisieren, der in seinen Büchern die Perspektive der reifen  Frau so beschrieben hat, dass sie die  allzeit bereiten jungen Männer wie Abschiedsgeschenke  eines langsam sich entziehenden Lebens  nur noch mitnehmen, weil sie die Lieben ihres Daseins bereits hinter sich haben.

Wirkliche Tiefe gewinnt das Buch auch tatsächlich erst durch den Einbezug des Zeitkolorits. Wie die Mühlsteine zwischen den Großmächten zerrieben, von Tataren, Türken, Deutschen und Russen gequält, scheint es das Schicksal der Ungarn zu sein, dass ihr individuellen Glück in jeder Generation einmal  durch eine nationale Katastrophe zerstört wird – so verhält es sich auch im Leben des jungen Andras, der im Gefolge der Volkserhebung des Jahre 1956 sein Vaterland verlassen muss und  sich ein neues Heimat suchen muss. Gerade diese ergreifend geschilderten Passagen geben dem Buch Klasse und Bedeutung und erheben es fast auf eine Stufe mit den Werken von Sandor Marai.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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