Sundermeyer: Gauland

Literatur über die AfD hat Hochkonjunktur. Beschreibt man diese Partei aus der richtigen, d.h. politisch korrekten Perspektive,  sind wohlwollende Besprechungen und Aufnahme in dem Buchverteiler der Bundeszentrale für politische Bildung garantiert. Auf diese Weise ist ein ganzes Genre entstanden, das mitunter mehr aussagt über das Milieu, dem es entstammt, als über das Milieu, das scheinbar beschrieben wird. Paradebeispiel dafür sind die Beiträge des FAZ Redakteurs Julius Bender, bei dem sich die eigenen Negativprojektionen längst über den zu beschreibenden Sachverhalt gelegt haben.

Das vorliegende Buch passt nur eingeschränkt in diese Kategorie.  Der Stil ist flüssig, die Diktion unterscheidet sich wohltuend von anderen Machwerken des gleichen Genres. Besonders die Interviews, die der Autor mit ehemaligen Weggefährten Alexander Gaulands führt, erlauben einen interessanten Rückblick auf eine Zeit, in der lagerübergreifende Gespräche und Freundschaften noch möglich waren. Der Leser lernt, dass   Gauland nicht in die Schablonen eines zurückgebliebenen, verhetzen Chauvinisten und Antisemiten passt, mit denen der Mainstream die Funktionäre der AfD gemeinhin stigmatisiert. Im Gegenteil: seinem ganzen Werdegang nach ist  Gauland ein Grandseigneur des  politischen Betriebes, wie es heute nur noch wenige gibt, unendlich weit entfernt von dem deprimierenden Erscheinungsbild des Personals, aus dem sich die politischen Führung der gegenwärtigen Bundesrepublik  rekrutiert. Als Mitglied der liberalkonservativen bürgerlichen Elite war Gauland 40 Jahre lang überzeugtes  CDU Mitglied und einer der führenden Mitarbeiter des hessischen  CDU Ministerpräsidenten  Walter Wallmann. In Martin Walsers Roman „Finks Krieg“ wurde er sogar in Gestalt des Ministerialbürokraten  Trockenburg literarisch porträtiert. Übrigens – das wird bei Sundermeyer nicht erwähnt – war Gauland damals an einem aufsehenerregenden Flüchtlingsimport beteiligt, in dessen Verlauf vietnamesische Bootsflüchtlinge in Deutschland Asyl und Aufenthaltsrechte erhielten. Von Parallelgesellschaften, Messermorden und Terroranschlägen dieser Einwanderergruppe ist  in den letzten Jahrzehnten nichts bekannt geworden.   Gauland pflegte engen Kontakt zur jüdischen Gemeinde in Frankfurt und war mit deren langjährigem Vorsitzenden Ignatz Bubis befreundet. Er saß im Beirat des dortigen Jüdischen Museums und verkehrte mit Cohn-Bendit und anderen  Führungsgestalten des rotgrünen Lagers.

Dieser biografische Hintergrund, den der Autor recht zutreffend darstellt, wirft die Frage auf, wie es zu der „Altersradikalisierung“ Gaulands kommen konnte. Die Antwort die Sundermeyer auf diese Frage gibt, ist von erschütternder Naivität und damit  100prozentig mainstreamkompatibel. Gauland, so Sundermeyer,  fand sich nach dem Sturz Wallmanns in Hessen von der eigenen Partei „abgehängt“ und fühlte sich auch als Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ weit unter Wert gehandelt.  Er sei zwar weder ein Antisemit noch ein Nazi, aber, was noch schlimmer sei, ein gnadenloser Opportunist, der in der AfD seine Chance wittert, endlich als eine bestimmende Person die politische Bühne zu  betreten. Dieses Motiv „es noch einmal wissen zu wollen“ unterstellt Sundermeyer übrigens auch anderen Gründungsgestalten der AfD wie Starbatty und Henkel. Der AfD wird allen Ernstes als  eine „Gründung alter weißer Männer“ beschrieben. „Dass sie zugleich allerdings die gesellschaftliche Spaltung vorantrieben und den fremdenfeindlichen Geist zu neuem Leben erweckten, das haben die meisten der umtriebigen alten Männer wohl nicht gewollt. Gleichwohl haben sie maßgeblich mitgewirkt.” Insofern haben die diese „umtriebigen alten Männer“ (und hier besonders Alexander Gauland) eine schwere Schuld auf sich geladen, den  sie haben die  „Erinnerungskultur“ delegitimiert und den Rechtsradikalismus wieder hoffähig gemacht.  Während viele von ihnen wie Konrad Adam oder Olaf Henkel  inzwischen auf Distanz gegangen sind, repräsentiert Alexander Gauland mittlerweile als  unbestrittene Führungsfigur des neurechten Lagers  einen „fundamentalen  Angriff auf unsere Demokratie“.

Was ist von dieser Diagnose zu halten? Richtig ist, dass Gauland es als Parteivorsitzender bisher verhindert hat, dass die AfD nach den Abgängen von Lucke und Petry auseinanderbrach und dass es ihm gelungen ist, den national-liberalen westlichen Flügel und den deutschnationalen östlichen Flügel der Partei zusammenzuhalten. In einer bemerkenswerten Widerständigkeit gegenüber dem Trommelfeuer von regierungsaffiner Presse und Staatsfernsehen weigert er sich, sich vorschreiben zu lassen, wen er aus der Art Partei auszuschließen hat.  Dass sich Gauland trotzdem immer wieder gegen  rechtsradikale Tendenzen in der Partei positioniert und zahlreiche Ausschlussverfahren inzwischen abgeschlossen sind, liest man bei Sundermeyer nicht. Die strikte Orientierung der AfD an den Buchstaben und dem Wortlaut des Grundgesetzes wird ebenso unterschlagen wie die Parteiprogrammatik, die praktisch eins zu eins die alte Vor-Merkel-CDU abbildet. Die politische  Stigmatisierung und die Straßengewalt gegen die AfD wird von Sundermeyer ebenso wenig thematisiert wie die wirtschaftliche Existenzvernichtung, der sich jeder Funktionär dieser Partei aussetzt. Stattdessen gewinnt man den Eindruck,  dass – ausgehend von einigen ärgerlichen, aber durchaus lösbaren Problemen (die in ihrer Brisanz zu dem Buch praktisch nicht vorkommen) die AfD drauf und dran ist,  die ganze Demokratie abzuschaffen. Auf die Idee, dass die millionenfache rechtswidrige muslimische Masseneinwanderung seit 2015, der Bruch der Maastricht Verträge und die Niedrigzinspolitik der EZB ebenso wie der Irrwitz der Klimabewegung durchaus legitime demokratische Gegenbewegungen der Bevölkerung hervorrufen müssen, kommt Sundermeyer nicht.

So wandelt sich die Frage nach der vermeintlichen „Altersradikalisierung“ Gaulands in die Frage, wie ein Autor, der noch alle fünf Sinne beieinander hat,  diese Realität derart ausblenden und die AfD als ein Symptom der Krise zu ihrer Ursache erklären kann. Wollte man es sich einfach machen, könnte man Sundermeyers Psychologisierung auch auf ihn selbst anwenden. Denn der der Autor, Jahrgang 1973, gehört   zur ersten erfolgreich rot-grün sozialisierten Generationskohorte, deren Wesensmerkmal darin besteht, dass sie  das eigene Brett vor dem Kopf gar nicht mehr wahrnimmt.   Insofern gleicht es einer  Ehrenerklärung, wenn sogenannte „alte weiße Männer“ wie Gauland und andere, die von diesen Scheuklappen noch frei sind,  die politische Übergriffigkeit Angela Merkels und die Krise der  zweiten deutschen Demokratie zum Anlass nehmen, sich unter hohem persönlichen Risiko einer zivilgesellschaftlichen Ausgrenzung auszusetzen und die Verhältnisse mit demokratischen (und im Unterschied zu ihren Gegners gewaltfreien!) Mitteln  zu ändern. Obwohl der Autor selbst immer wieder auf die Grünen zu sprechen kommt, die eine in Vielem vergleichbare Entwicklung wie die AfD aufweisen, sucht man dieses  Problemverständnis in dem vorliegenden Buch vergebens.

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