Sutherland: Die seelische Krise. Vom Zusammenbruch zur Heilung

Sutherland Die seelische KriseDer Zusammenbuch kam schnell und überraschend. Eben noch ein tuffer Karrierist, ein viel beschäftigter Akademiker, ein gut funktionierendes Rädchen im Forschungsbetrieb, dann plötzlich von einem auf den anderen Tag nur noch ein jämmerliches Häufchen Elend! Die Entdeckung eines ehelichen Fehltrittes warf den Autor Stuart Sutherland derart aus der Bahn, dass er von einem auf den anderen Tag zu einem ängstlichen Kind regredierte, zu einem Nervenbündel, das sich seiner Verlassenheitsängste und Getriebenheiten nicht mehr erwehren konnte. Alles was seinem Leben Farbe verlieh, Lesen, Lieben, Schreiben, Diskussionen wurde gleichgültig und zugedeckt durch eine überdimensionale Fadheit, die den Erkrankten Professor Tag und Nacht begleitete.
Das ist schlimm genug, aber ist es so außergewöhnlich, dass sich deswegen image043unbedingt die Lektüre dieses Krankenberichtes lohnen würde? Wirklich außergewöhnlich ist der Umstand, dass Sutherland seine Erkrankung mit den Augen des Fachmannes durchleidet, denn er ist nicht nur Patient sondern als Professor für Psychologie auch ein kundiger Kommentator seiner eigenen Therapien. Diese zweifache Perspektive, die autobiographische Erzählung vom seelischen Leid, das den gesunden Mann in der Mitte des Lebens wie aus heiterem Himmel überfiel, und die analytische Hinterfragung der Behandlungsmethoden, die an ihm angewendet wurden, machen das vorliegende Buch zu einem selten lohnenden Leseerlebnis.
Doch eine Warnung gleich vorweg. Für Freunde Freuds und seiner Psychoanalyse hält Sutherlands Bericht keine guten Noten bereit. Im Gegenteil: die Erfahrungen, die der erkrankte Sutherland mit gleichgültigen und inkompetenten Analytikern machen musste, sind schlichtweg schockierend. Weil es zum Konzept der Psychoanalyse gehört, die Zustände erst noch krisenhaft zuzuspitzen, ehe der Heilungsprozess einsetzen kann, verschlechterte sich Sutherlands Zustand mit jeder Sitzung, ehe er die Analyse endlich abbrach und sich zu einem vernünftigen Arzt begibt. Dieser nimmt erst einmal eine ordentliche Anamnese auf und lindert ohne großes Hallo einfach durch die Verschreibung einiger Medikamente den schlimmsten seelischen Schmerz. Wer dies in gut freudianischer Manie als ein Kurieren an den Symptomen“ kritisiert, der hat keine Ahnung davon, wie lebenserhellend eine einzige Stunde ohne Angst und Zwangsvorstellungen sein kann, die dem Patienten durch die richtigen Medikamentes geschenkt werden kann. Aber auch die klinischen Psychologen können Sutherland zunächst nicht heilen, er kommt in eine geschlossene Anstalt und stabilisiert sich auf einem kreatürlichen Niveau – bis sich plötzlich wieder alle verändert. Von einem auf nächsten Tag klingt die Krankheit ab, die Ängste und die Beklommenheit verschwinden wie sie gekommen sind, und Sutherland kehrt für sein Leben gezeichnet in die Normalität zurück.
Das vorliegende Buch ist die späte Frucht dieser Krise. Es entstand nach der spontanen Remission des Patienten und beschreibt nicht nur die eigenen Fallgeschichte sondern in einer Reihe gut lesbarer und durchstrukturierter Kapitel auch die therapeutischen Konzepte, die sich in seinem und in anderen Fällen als mehr oder weniger hilfreich erwiesen haben. Neben der Psychoanalyse, vor der man nach der Auffassung des Autors jeden Kranken nur warnen kann, werden die Verhaltenstherapie und die verschiedenen gruppenspsychologischen Modelle bis hin zu den gefährlichen Gestaden der Therapie“ wie Encounter, Urschrei und Schamanentum vorgestellt. Am interessantesten, weil so kompakt selten verfasst, lesen sich die Kapitel über die biologischen und neurologischen Grundlagen der psychischen Erkrankungen und die damit verbundenen medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten, die für viele Patienten die einzige Möglichkeit des Überlebens darstellen.
Alles in allem als eine der besten Einführungen in die Psychologie ein uneingeschränkt empfehlenswerteres Buch! Umso erstaunlicher ist aber, dass dieses kleine Meisterwerk schon seit Jahren vergriffen und eine Neuauflage nicht geplant ist. Ein Schelm, der dahinter die meinungsbildende Macht der in Deutschland so beherrschenden Psychoanalyse in den Lektoraten der Verlage vermutet

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