Tibi: Europa ohne Identität. Leitkultur oder Wertebeliebigkeit?

Tibi EuropaDass sich der europäische Kontinent in einer der schwersten Krisen seiner Geschichte befindet, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Diese Tatsache beruht nach Meinung von Bassam Tibi weder auf dem Eiertanz um die Europäische Gemeinschaft, die sich als offenes Haus ohne gültige Geschäftsgrundlage zu Tode erweitert, noch auf der im Vergleich zu China oder den USA mickrigen wirtschaftlichen Dynamik, die langfristig in einen herben Wohlstandsverlust führen wird. Die eruopäische Krise beruht nach Bassam Tibi in erster Linie auf einem beispiellosen Identitätsverlust, der es den europäischen Regierungen immer schwerer macht, ihre wahren Interessen zu erkennen. Dieser Befund einer weitgehenden Entwestlichung“ der europäischen Nationen ist umso bedrückender als dem unsicher gewordenen Europa ein islamischer Neo-Absolutismus gegenübertritt, der seinen universalistischen Anspruch auf Weltherrschaft niemals aufgegeben und neu vitalisiert hat. Islamischer Neo-Absolutismus tritt dabei in vielfältigen Formen auf: zunächst als eine demographische Umwälzung westlicher Bevölkerungen durch Masseneinwanderung, wobei die Zuwanderung nicht in die Arbeits- sondern in die Sozialsysteme gleichsam als Menschenrecht beansprucht und erzwungen wird. Zweitens als fundamentalistische Unterwanderung der freien Gesellschaft, die von den Terrorzellen in Hamburg und anderswo jahrelang vollkommen unbehelligt ihre Anschläge in der ganzen Welt planen konnte, wobei, auch darauf weist Tibi anhand vieler konkreter Beispiele hin, die fundamentalistischen Todfeinde der freien Gesellschaften in Deutschland durch Stipendien und Sozialhilfe alimentiert werden. „Deutschland ein Tollhaus“ ruft der Autor und fragt: wie ist so etwas möglich? Seine Antwort. Diese suizidalen Zustände sind nur erklärlich durch einen „Selbsthass der gesinnungsethischen Linkseliten“, die mit der öffentlichen Dominanz der politischen Correctness jeden vernünftigen Diskurs in der Gesellschaft unterdrücken. Ebenso wie die radikalen Islamisten jeden gemäßigten Muslim mit dem Totschlagargument des „Nichtgläubigen“ traktieren, schwingen auch Trittin und seine linken Konsorten gegen jede Kritik an der ungehemmten Zuwanderung nicht integrationswilliger und schlecht qualifizierter Migranten die Rassismuskeule, was sich als so erfolgreich erwiesen hat, dass auch die konservativen Parteien und Zeitungen in diesen Ritus der Selbstverstummung eingeschwenkt sind.

Ist denn alles verloren, möchte man fragen. Nein, antwortet Bassam Tibi, wenn man nur zweierlei konsequent angeht: Erstens muss endlich eine europäische Leitkultur entwickelt und selbstbewusst vertreten werden, eine Leitkultur deren Werte sich auf den Lehren der europäischen Aufklärung gründen und die vor allen Dingen keine Toleranz für Intolerante beinhaltet. Zweitens muss eine Einwanderungspolitik konzipiert werden, die sich am nationalen Interesse der Einwanderungsländer ausrichtet, das heißt, dass Fundamentalisten, Terroristen, Kriminelle und unzureichend Qualifizierte in Deutschland nichts zu suchen hätten. Auch wenn man über Tibis Offenheit ( „In Deutschland sind die Kriminalitätsraten durch Zuwanderung explodiert, doch ist geradezu verboten, darüber zu sprechen.“ ) fast ein wenig erschrickt, so sind es doch bare Wahrheiten und Selbstverständlichkeiten, die er propagiert, allerdings Selbstverständlichkeiten, mit denen jeder, der sie heute verkündet, sofort ins Kreuzfeuer der Gesinnungsethiker gerät. Das hat Friedrich Merz erfahren müssen, als er die Leitkulturdebatte anstieß, und auch Bassam Tibi kann ein Lied davon singen, hat er doch trotz guter Verkaufszahlen seiner Bücher durch konsequentes Totschweigen seines Wirkens in Presse und Funk inzwischen fast jede öffentliche Resonanz verloren. Niemand wird natürlich sich wundern, dass sich Bassam Tibi mit seinen Thesen bei den Grünen, der „linken Süddeutschen Zeitung“ und der „gesinnungsethischen ZEIT“ keine Freunde erworben hat. Erstaunlich aber ist, dass er es sich auch mit der konservativen FAZ verdorben hat, bei der er früher noch recht regelmäßig publizieren durfte und die im Kern in ihren Leitartikeln keine anderen Thesen verkündet als Bassam Tibi in dem vorliegenden Buch. Möglicherweise liegt ein Grund für diese Entfremdung zwischen dem Autor und den konservativen Blättern aber auch in der unübersehbaren Eitelkeit des Autors, der es sich bei aller Kenntnis und analytischer Schärfe nicht verkneifen kann, den Leser immer wieder mit Selbstzitaten und Eigenlob zu nerven. An der Stringenz und Überzeugungskraft der Darstellung und der unüberschaubaren Zahl von geradezu erschütternden Beispielen die das vorliegende Buch wie ein Kompendium des gegenwärtigen Schwachsinns liefert, ändert das aber nichts.

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