Vanderbeke – Geld oder Leben

„Entweder man glaubt es oder man glaubt es nicht. Wenn alle daran glauben, heißt es, es funktioniert.“ Mit dieser Sentenz beginnt Birgit Vanderbeke  ihren kleinen Roman „Geld oder Leben“, der den Leser mit den Augen einer namentlich nicht definierten Protagonistin durch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland führt. An den lieben Gott glaubte schon keiner mehr, aber immerhin an die Ehe, allen voran die Mutter, bis der Vater sich zuerst eine ausländische, dann eine einheimische Geliebte nimmt und die Familie verläßt.

Als die Protagonistin älter geworden ist und die Universität besucht, stellt sie fest, dass dort eigentlich niemand mehr an etwas glaubt – ihre Kommilitonen wissen eigentlich nur, woran sie nicht glauben: nicht an den Kapitalismus, nicht an die Atomkraft, nicht an die Ehe, nicht an Liebe, Ordnung, Geld, Fleiß oder an die Arbeit. Auch an die Uni glaubt natürlich kein Mensch, denn was dort zu lernen gibt,  „hat nichts mit dem Leben zu tun“, sondern nur mit dem Erstellen von Literaturlisten und Texten, die keiner mehr liest sondern die alle nur noch voneinander abschreiben. Da trotzdem alle Studenten die geisteswissenschaftlichen Fakultäten mit  Prädikatsexamina verlassen,  finden sie anschließend auch keine Arbeit sondern versinken in der Sinnlosigkeit, im Suff, im Konsum oder Drogenrausch, wenn sie nicht an Aids sterben oder die Tage mit Kabelfernsehen totschlagen.

Selten hat man der ganzen größenwahnsinnigen und erbärmlichen Infantilität einer ganzen  Generation so plastisch gleichsam aus einer distanzierten Innenperspektive heraus nachspüren können. Die Erzählerin selbst verweigert sich der generationenübergreifenden Dekadenz,  sie verweigert sich dem Kabelfernsehen, der Weltflucht oder dem Konsumraum und versucht sich zusammen mit ihrem Freund durch konsequente Verwertung von Wohlstandsmüll wenigstens einen Rest von  Autonomie auf kleinbürgerlicher Sparflamme zu erhalten.

Wie bei einem diffusen Bühnenbild ziehen derweil hinter dem dahinplätschernden Oberflächengeschehen die Krisen der Epoche vorüber –  mal wird kurz erwähnt, dass  „die Araber  uns das Licht ausschalten wollten“ (Ölkrise 1974), dann kam eine große Wolke aus dem Osten ( Tschernobyl 1986) kurz bevor der  Sozialismus zusammenbrach ( Wende von 1989) und die Zeit der Geldvermehrung ( New Economy-Boom der Neunziger Jahre ) begann. Das ist hübsch eingestreut, hat aber etwas Gewolltes, denn eine irgendwie nachvollziehbare Beziehung zwischen der Zeitgeschichte und der Erzählung wird nicht ersichtlich. Aber vielleicht ist das auch für ein so kurzes Buch ein wenig viel verlangt – möglicherweise liegen die Stärken dieses kleinen Werkes tatsächlich eher in der Form als in seinem Inhalt – immerhin hält die Autorin an der halb verwunderten,  halb begriffsstutzigen Perspektive der Protagonistin eisern fest – eine poethologische Entscheidung, die manch erhellende Sichtweise ermöglicht, aber auf Dauer reichlich gezwungen wirkt, weil vom Kleinkind bis zur Mutterexistenz bei der Erzählerin keinerlei Entwicklung erkennbar wird. Zudem hat die Sprache, in der das Buch ohne Abschnitte und Kapitel erzählt wird,  etwas Treibendes, Rastloses, Mäanderndes – wer will kann darin Dynamik erkennen, auf mich wirkte der gewollt sprachkarge Duktus auf die Dauer eintönig. Am Ende war ich deswegen trotz der unzweifelhaften Stärken des Buches ein wenig enttäuscht und wunderte mich über die enthusiastischen Kritiken auf dem Buchmantel. Aber wahrscheinlich ist es wirklich so, wie Vanderbeke in ihrer Eingangssentenz beschreibt: „Entweder man glaubt es oder man glaubt es nicht“- wenn „man“ – das Feuilleton, die Kritiker,  der Medienbetrieb – daran glauben, dass dieses kleine Buch eine bedeutende literarische Leistung darstellt, dann funktioniert es auch, d.h. es erringt Preise und Ruhm. Ob es aber dann auch wirklich gut ist, muss schon ein jeder für sich selbst entscheiden.

 

Kommentar verfassen