Vargas Llosa: Das Fest des Ziegenbocks

Vargas Llosa Das Fest des ZiegenbocksMan verreist eigentlich immer dreimal. VOR der Reise, wenn man sich vorbereitet, dann DIE REISE SELBST und schließlich NACHHER, wenn die Reise in der Erinnerung ihre endgültige Gestalt gewinnt . Zum schönsten und interessantesten der „Reise vorher“ gehört für mich das Einlesen, das Schmökern in den Büchern über das Land, das ich bereisen möchte. Und vor allen Dingen die Lektüre seiner Romane. So habe ich im Vorfeld einer Reise in die Dominikanische Republik Vargas Llosas „Das Fest des Ziegenbocks“ gelesen – ein immerhin 538 Seiten langes Portrait einer ganzen Epoche, das alles andere als „erfreulich“, aber ungemein beeindruckend war.

Das Thema des vorliegenden Buches ist die Trujillo Diktatur in der Dominikanischen Republik und ihr Ende am Beginn der Sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Erzählt wird  aus drei  Perspektiven : der Innenperspektive des Diktators, der Perspektive von Urania Cabral, einem jungen Mädchen, das die Insel und ihren Vater verlassen hatte und erst nach Jahrzehnten zurückkehrt, und aus der Perspektive der Attentäter, von denen die meisten in die Trujillo Diktatur verstrickt waren und nach dem Attentat einen  schrecklichen Tod sterben werden.

Es dauert zwar  eine gewisse Zeit, ehe man die Chronologie und sachliche Verklammerung dieser drei Erzählebenen versteht, dann aber zieht die Geschichte den Leser immer unwiderstehlicher in ihren Bann, ehe sie in das Attentat auf der Uferstraße mündet.

Am interessantesten erschien mir die Innenperspektive des Diktators, anhand deren Vargas Llosa nicht nur das Psychogramm eines großen Schurken sondern auch noch eine Geschichte der Dominikanischen Republik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ungemein anschaulich entfaltet. Es ist erstaunlich, wie fugenlos es dem Autor dabei gelingt, sich in das „Gehirn“ Trujillos zu versetzen, die Dinge mit seinen Augen zu sehen, so dass der Leser wider Willen einen Eindruck von der widerwärtigen Größe wie der unglaublichen Bestialität dieses Menschen erhält. Das letzte Mal, das ich etwas derart Gelungenes gelesen habe, war die Darstellung von Stalins Innenwelt in Rybakows „Die Kinder vom Arbat“. Der Autor stellt den Diktator als einen brutalen Patriarchen dar, der die Infrastruktur der Insel ( im Unterschied zum benachbarten „Papa Doc“ Duvalier in Haiti) entwickelt – ganz einfach, weil er die ganze Insel als seine Eigentum ansieht, das er mehren möchte, der aber klug genug ist, von den Reichtümern, die er dabei anhäuft, auch etwas an die Bevölkerung abzugeben. Wen dieser Aspekt interessiert, den verweise ich auf das Kapitel über die Dominikanische Republik und Haiti in dem Ökologie-Klassiker von Jarred Diamond „Kollaps“).  Allerdings gerät das scheinbar monolithische System Ende der Fünfziger Jahre  in die Krise. Die USA und selbst die Katholische Kirche, lange Zeit die verlässliche Stützen der Diktatur, wenden sich angesichts der immer ungehemmteren Repression von Trujillo ab. Und auf der Nachbarinsel Kuba hatte Fidel Castro gerade erst den Diktator Battista davongejagt.

Der Erzählstrang über die Attentäter macht dagegen deutlich, wie sehr ein jeder von ihnen sich vom System so lange hat korrumpieren lassen, bis ihnen die Morde oder Verbrechen, an denen sie beteiligt waren, keinen anderen Ausweg mehr ließen als den Tyrannenmord.

Die Geschichte Urania Cabrals bildet die geheime Klammer des  Buches. Lange Zeit bleibt unklar, warum sie ihren alten Vater verlassen hatte und aus dem Land geflohen war, bis ganz am Ende deutlich wird, dass sie das Opfer eines Verbrechens geworden war.

Das Buch ist spannend wie ein Thriller geschrieben. Ohne Schnörkel und Beschönigungen haben Schurken wie der Geheimdienstchef Johnny Abees, Wendehälse wieder Präsident Balanguer oder Psychopathen wie der Trujillos Sohn Ramfis ihren Auftritt auf der Bühne des Romans. Bedrückenderes als die Beschreibung der Schändung Urania Cabrals oder die Folterqualen der Trujillo-Attentäter nach dem Tod des Diktators habe ich lange nicht mehr gelesen. Ein großer Roman, der über seinen konkreten historischen Bezug hinaus zum beispielhaften literarischer Portrait der lateinamerikanischen Diktatur geworden ist.

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