Walser: Ein liebender Mann

Im August 1821 sah der 72 jährige Geheimrat von Goethe die 16jährige Ulrike von Levetzow im böhmischen Kurort Marienbad zum erstenmal, ein Jahr später wurde die Bekanntschaft des Meisters mit der Familie vertieft, 1823 dann kam Goethes Liebe in der Werbung um die Hand des jungen Mädchens voll zum Ausbruch. Sogar den Großherzog von Weimar hat der alte Herr für seine Werbung eingespannt. Doch vergebens. Die junge Braut suchte mit ihrer Familie das Weite, und der alte Goethe blieb allein zurück. Erst die Marienbader Elegie verwandelte die Peinlichkeit in Weltliteratur.

Goethe Denkmal in Elnbogen

Der alte Walser, wie man hört selbst ein Schwerenöter, hat diese Geschichte aus der Perspektive des alten Goethe nacherzählt. Das liest sich über weite Strecken unterhaltsam und amüsant, wobei man nicht sicher ist, ob das Buch mal ironischen, mal zum Tragischen tendiert. Das Buch hält wohl insgesamt die Mitte und erfreut durch zahlreiche Aphorismen, die jedes Kalenderblatt bereichern würden. „Meine Liebe weiß nichts davon, dass über Siebzig bin“ heißt es an einer Stelle. Das hat  doch was. Oder ein andermal „Was ist der Neid anderes als eine zur Ungleichheit verurteilte Form der Bewunderung?“ Am besten fand ich noch die folgende Sentenz: „In mir war eine Liebe daheim, ein Leben lang, die schlief, die träumte, die schweifte ein paar Mal aus, nannte sich anders, floh wieder zurück. Eigentlich wartete sie (…) Jetzt weiß ich, sie hat auf dich gewartet.“ Kein Zweifel, ein solcher Spruch eignet sich zum zeitlosen Einsatz.

Auf der anderen Seite kommt die Goethesche Innenwelt gar zu medioker einher. Goethe kalauert, parliert, taktiert, aber außer den guten Sprüchen ist von einer sonderlichen Tiefe nichts zu bemerken. Mit der Goetheschen Innenansicht, wie sie Thomas Mann in „Lotte in Weimar“ entfaltet, wird man die Walsersche Goethe-Psychologie also nicht vergleichen können. Auch Ulrike von Levetzow wirkt reichlich konstruiert. Nur Kapriziösen und altkluge Backfischsprüche – und das hat den Meister umgehauen?

Wirklich gut ist das Buch nur dort, wo sich der alte Goethe selbst (oder der alte Walser den alten Goethe – oder der alte Walser sich selbst? ) auf den Arm nimmt – etwa in der Tanzszene, in der ein fescher Grieche dem alten Goethe mal zeigt, wie man eine junge Frau durch den Ballsaal schwingt –  oder in der wunderbaren Miniatur, in der sich der schon etwas tüttelige Olympier bei einem Waldspaziergang der Länge lang auf die Nase legt.

Über Elnbogen, Karlsbad und Marienbad ist aus dem vorliegenden Buch nichts Besonderes zu erfahren, was ich schade fand, weil ich Buch mitgenommen hatte, um es genau an diesen Orten zu lesen.

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