Weißmann: Kulturbruch

Weissmann Kulturbruch _Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben, das ist wahr, aber manchmal gehen die Verhältnisse über sie hinweg, während sie noch daran schreiben.  So verhielt es sich zum Beispiel bei den Jubiläumsfeierlichkeiten zum 40 jährigen Bestehen der DDR, die die kommunistische SED (heute Partei „Die Linke“) mit großem Pomp beging, als bereits draußen die Menschen nach Freiheit  schrien. Möglicherweise verhält es sich mit der 68er Bewegung ganz ähnlich. In diesem Jahr 2018 werden zum 50. Jubiläum ganz sicher zahlreiche Elogen auf diese „Modernisierung“ und  „zweite Gründung der Bundesrepublik“ erscheinen. Doch die politischen Stimmen, die 68 „abwickeln“ wollen, werden lauter.

Zu ihnen gehört auch der Historiker Karlheinz Weißmann, der in dem vorliegenden Buch „Kulturbruch“ eine kritische  Sicht der ´68er Revolte liefert: „`68 war weder ein eskalierter Vater-Sohn-Konflikt noch notwendiger Modernisierungsschub, weder berechtigter Aufstand gegen ein `Schweinesystem´ noch der Beginn einer schönen und wilden Zeit, in der alle etwas lockerer wurden. `68 war vielmehr Ursache jener Formschwäche, unter der die westliche Welt heute leidet, ein Vorgang äußerer –und stärker noch – innerer Zerstörung. Die meisten unserer gesellschaftlichen und kulturellen Probleme gehen auf das zurück, was die Achtundsechziger taten oder was sie ihre Erben tun ließen. Die Achtundsechziger haben einen Umsturz gewollt, und sie haben einen Umsturz vollzogen.“

Der Autor untermauert diese Perspektive in zweifacher Hinsicht. Zunächst bietet er eine konzentriert geschriebene Realgeschichte des „Kulturbruchs“,  anschließend eine Analyse der  Folgen für Staat und Gesellschaft. Neu für mich war, wie stark sich schon lange vor 68 Linke wie die Gruppe 47 und andere in den Medien breimachten. Ohne dass es jemand richtig bemerkte, gewann die „fortschrittliche“, kulturmarxistische und antiamerikanische Intelligenz bereits in der späten Ära Adenauer die kulturelle Hegemonie in den Funkhäusern und den großen Zeitungen. Das war als historisches Faktum kaum zu überschätzen, denn als die 68er unter ihren linken Bannern auftraten, trafen sie auf eine  wohlwollende Medienlandschaft(Also genau das Gegenteil von dem, was heute der AfD widerfährt). Konservative Autoren wie Paul Sethe, die schon früh von einem „Aufstand der Kammerdiener“ sprachen, wurden beiseite geräumt.

Die eigentliche ´68er Bewegung in Europa war für Weißmann die Folge einer  nach links verschobenen Radikalisierung der amerikanischen Verhältnisse. Das hört sich merkwürdig an, denn die 68er waren doch extrem amerikakritisch,  stimmt aber trotzdem, weil die 68er ihre Radikalität, ihre Gewaltbereitschaft und ihren Hass  auf alles Bürgerliche aus der amerikanischen Linken bezogen. Der Kulturmarxismus a la Marx, Freud Reich und den Opas der Frankfurter Schule war nur das leicht muffige Sahnehäubchen auf diesem weltanschaulichen Pudding, die Naziverknischung der spezfisch deutsche Beitrag. Kaum zu überschätzen war nach Weißmann der radikale Hedonismus und der Abschied von den „Manieren“,  die auch von unpolitischen Naturen als Befreiung erfahren wurde, am Ende aber oft in Verwahrlosung umschlug. Ein Typ besonderer Art war  Rudi Dutschke, den Weißmann viel kritischer bewertet als die gegenwärtige Hagiografie, die nach ihm Straßen und Plätze benennt, denn sein Verhältnis zur Gewalt war rein taktischer Natur, und möglicherweise wurde er nur durch den Mordanschlag auf ihn von gewalttätigen Aktionen abgehalten.   Auch der maßlos überschätze Enzensberger kommt bei Weißmann schlecht weg, und liest man die unterirdischen Zitate aus seinem Kursbuch, kann man ihm nur recht geben. Dass die zunächst antiautoritäre Bewegung nach 1968  Intoleranz, Terror und Gewalt umschlug, wundert Weißmann nicht: „Es war der Ausdruck eines seelischen Vakuums, das nun mit Totalitarismus gefüllt wurde“.

Fast noch interessanter als die darstellenden Passagen, die hier nicht nachgezeichnet werden können, sind die analytischen Kapitel.  Die Bewegung war ein Sammelbecken der unterschiedlichsten Gestalten, deren Vielfalt Weißmann mit einer Typologie zu begreifen sucht. Es gab „Aktivisten“, „Demagogen“, „Ideologen“, „Mutanten“, „Renegaten“ und „Gönner“, schreibt Weißmann. Am peinlichsten erscheinen Weißmann, die sogenannten „Gönner“, das heißt, Personen wie Nannen, Buccerius und Augstein, die „Sugar-Daddys“ der Revolution samt ihrem Schicki-Micki-Anhang, die die Adepten der Revolte  mit nicht unbeträchtlichen Geldspenden unterstützten. Auch hier ist Weißmann nicht um eine klare Eiordnung verlegen. Es war die „nostalgie de la boune“, die „Sehnsucht nach dem Dreck“, der die dekadenten Elite des Landes die Nähe zu den moralisch und geistig Verwahrlosten suchen ließ. Man sieht, der Autor macht aus seinem Herzen keine Mördergrube und lässt die Samthandschuhe m Schrank.

Am Ende diffundierte die Bewegung – der SDS löst sich auf, unzählige linksradikale Zirkel entstehen, deren Größe und Bedeutung nicht unterschätzt werden darf, die RAF beginnt ihren blutigen Weg,  Gescheiterte und  Depressive bleiben auf der Strecke. Wirklich erfolgreich waren nur jene Mitläufer und Sympathisanten, die den langen Marsch durch die Institutionen antraten und als Lehrer, Richter, Journalisten und Politiker mit dem ausgedünnten Saft der 68er-Ideologie die Gesamtgesellschaft  durchtränkten. Joschka Fischer, der Studienabbrecher und Straßenschläger, der zum deutschen Außenminister aufstieg, und Gerhard Schröder, der Stamokap Anhänger,  der heute ein Bonsai-Oligarch von russischen Gnaden ist, lassen grüßen. Die beiden als Repräsentanten der nachfolgenden Gewinner-Generation waren  1998  am Ziel.  68 hatte sich in eine siegreiche Zivilreligion verwandelt, vor der übrigens schon Helmut Schelsky in den Siebziger Jahren gewarnt hatte. Ihre Hohepriester, Landpfarrer und Inquisitoren in Staat und Zivilgesellschaft etablierten sieben Dogmen, die Weißmann in dem folgenden „Heptalog“ zusammenfasst:

  • die moralisch begründete radikale Verengung des legitimen Meinungskorridors bei Strafe der sozialen Ächtung durch die Öffentlichkeit,
  • der strikte Bezug auf das einzelne atomisierte Individuum, dem kollektive, nationale Einbindungen abgesprochen werden (Nation ade´),
  • das unbedingte Gleichheitsgebot,
  • der Kult der Randgruppen und Zuwanderer,
  • eine plastische Formbarkeit des Menschen entsprechend der Thesen der Umwelttheorie,
  • eine Theorie des selektiven Humanismus, die zwischen „guten“ und „schlechten“ Opfern unterscheidet
  • und ein Modernitätsgebot, d. h. die Idee eines geschichtlichen Telos, nach dem alles auf eine postnationale Weltgesellschaft zustrebt.

Alles in allem kennzeichnet die Gesamtheit dieses Heptalogs  nach Weißmann genau das, was Emile Durkheim als „Anomie“ bezeichnet hat,  wobei diese Anomie nicht nur das Leben der Einzelnen sondern auch die Institutionen erfasst hat.  Man hat einen „Staat, der nicht weiß, wie er dauern soll, die Armee, die nicht kämpfen will, die Kirche, die nicht glaubt, die Universität, die nicht bildet, Eltern, die nicht erziehen.“

Was tun? fragt Weißmann am Ende seines Buches. Weit entfernt von dem Optimismus, den Matthias Matusek am seines Buches „White Rabbit“ formulierte, wo er behauptete, der Wind habe sich bereits gedreht, hofft Weißmann allenfalls darauf, dass sich die Ideologe des Heptalogs „an der Realität“ bricht. Bis dahin bleibt nichts, als das Gefühl der Entfremdung zu nähren, auf die Widersprüche hinzuweisen und darauf zu beharren, „dass eine andere und humanere Form der Existenz möglich ist.“

Dieses pessimistische Finale wird nicht jedem gefallen. Gerade im Kontrast zu den im vorliegenden Buch beschriebenen Aktivisten kommt darin ein melancholischer Quietismus zum Tragen, der als konservative Geisteshaltung nicht zuletzt zum „Kulturbruch“ der späten Sechziger beigetragen hat. Ich persönlich glaube das nicht und halte es eher mit Aristoteles, der in seiner „Nikomachischen Ethik“ darauf hinweist, dass alle Werte, die ins Extrem getrieben werden, sich selbst widerlegen. In dieser Situation befinden wir uns heute, und diese Chance gilt es zu nutzen.

 

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