Zeh: Unterleuten

Zeh UnterleutenManchmal sind die verlockendsten Geschichten auch die verlogensten. Bei keinem anderen Thema trifft das so zu wie bei der Windkraft, dem großen Energieschwindel, bei dem „die da oben“ verdienen und „die da unten“ per Strompreis die Zeche zahlen – ganz abgesehen von der extremen Unwirtschaftlichkeit dieser Energieerzeugung und der ästhetischen Verhunzung ganzer Regionen.

Soweit, so zornig. Jetzt aber ernsthaft: die Errichtung  einer Windkraftanlage ist einer der Plots des vorliegenden Buches. Diesmal trifft es Unterleuten, ein kleines 200-Seelen-Dorf an der deutsch- polnischen Grenze. Eines Tages erscheint ein Vertreter eines Windkraftkonzerns,  um den überraschten Bürgern zu eröffnen, dass bald eine Windkraftanlage mitten im Naturschutzgebiet eröffnet werden wird.    Die höherwertigen Belange der „Energiewende“ und der Wille „von ganz oben“ lassen keinen Widerspruch zu. Der Kampf um das für und wider dieser Windkraftanlage ist das erste, das vordergründige Thema des vorliegenden Buches.

Aber nicht nur. Julie Zeh erzählt darüber hinaus auch eine zweite, eine ostdeutsche  Geschichte von Betrug und Verbrechen, von Sehnsucht und Hass, dargestellt in der Nussschale eines winzigen Dorfes in Brandenburg.  Der Kampf zwischen dem Altkommunisten Kron und dem Landwirtschaftsmanager Gombrowski ist der zweite Schwerpunkt des Buches, der sich mit dem ersten, der geplanten Errichtung der Windkraftanlage, bis zur Ununterscheidbarkeit verquickt.

Und schließlich und drittens kann der Roman auch als eine deutsch-deutsche Parabel gelesen werden, denn Unterleuten wird längst nicht mehr nur  von Autochthonen  bewohnt. Auch stadtmüde Wessis haben sich auf dem Land niedergelassen: ein gescheiterter Soziologie-Dozent, eine karrierelüsterne Pferdeflüsterin, ein einfallsloser Schriftsteller und ein Computer-Nerd mischen kräftig mit im dorfinternen Machtkampf, bei dem bald keiner mehr genau weiß, wer auf wessen Seiter steht.

Was sich in dieser Darstellung vielleicht ein wenig kompliziert anhören mag, wird in dem vorliegenden Roman als ein packendes Stück Literatur auf das Unterhaltsamste entfaltet. Die Präzision und Detailtiefe, mit der sich die Autorin in dutzende Charaktere hineinversetzen kann, die Handlungsführung und die  geschliffene Sprache, in der das Buch verfasst ist, machen den vorliegenden Roman zu einem beachtlichen urf, der turmhoch über die Belanglosigkeit der deutschen Gegenwartsliteratur hinausragt. Und was mir besonders gut gefallen hat: Obwohl die Autorin Julie Zeh politisch eine eher linksempanzipative Positionen vertritt, ist davon in dem Buch nichts zu merken. Hier bekommen alle ihr Fett weg, der Linke wie der Rechte, der Reiche wie der Arme, der  Gutmensch ebenso wie der Raffer. Nicht Ideologie sondern Personen von frappierender Lebensechtheit stehen im Mittelpunkt dieses beeindruckenden Werkes, dessen Handlung sich bei aller Wechselhaftigkeit folgerichtig und überraschend zugleich entfaltet wie das Leben selbst   Für mich das Beste, was ich von einem/r deutschsprachigen Autor/in seit langem gelesen habe.

 

 

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