Auf der Suche nach Buddhas Angesicht im Lahore Museum

Das Labore Museum war in einem wuchtigen, rostroten Kolonialgebäude untergebracht und besaß Abteilugen für islamische, hinduistische und buddhistische Kunst. Seinen internationalen Rang verdankte das Museum den Exponaten der buddhistischen Gandhara Kultur, deren Zentrum sich in Taxila, etwa zweihundert Kilometer nördlich von Lahore befunden hatte.

Im Gefolge der Invasion Alexanders des Großen hatten die Bewohner des indischen Nordwestens die griechische Porträtskulptur kennengelernt und sie zur Darstellung  eigener religiöser Vorstellungen adaptiert. War der Buddha, dessen Lehre damals in ganz Südasien dominierte, bis dahin nur abstrakt als Rad, Lotusblüte, Thron oder als Stupa dargestellt worden, entstanden nach dem Vorbild der  griechischen Plastik nun figürliche Darstellungen des lebenden Buddha in einer bestimmten Ikonographie, die für  ganz Asien stilbildend werden sollte.

Nirgendwo in der Welt ließ sich dieser kunstgeschichtliche Quantensprung im Detail besser beobachten als in  der Skulpturengalerie  der buddhistischen Abteilung des  Museums von Lahore.  Manchmal sah man eine  Buddhaskulptur mit einem Schnurrbart, als sei er ein makedonischer Soldat oder römischer Zenturio, wieder andere Plastiken glichen ausgemergelten griechischen Säulenheilgien aus der mediterranen Spätantike.  Am beeindruckendsten war die Skulptur des „fastenden Buddhas“, die den Erleuchteten mit  gespenstisch  großen Augenhöhlen und bis auf das Skelett abgemagertem Körper darstellte, einen absoluten Schmerzensmann zwischen Tod und Erleuchtung kurz vor dem Ende seiner Reise durch die hunderttausend Wiedergeburten. Die Buddha-Skulptur war im Modus der Schlankheit in die Welt getreten. Dann wurde sie auf ihrem kulturgeschichtlichen  Siegeszug nach Ostasien immer dicker, bis sie sich in China schließlich in den fetten Maitreya Buddha verwandeln sollte.

Leider stand es mit meiner Auffassungsfähigkeit an diesem Tag nicht zum Besten.  Das Leben sei ein Tal des Leidens, hatte der Buddha gelehrt, und was den Aufenthalt in den schwülen Räumen des Lahore Museums betraf, musste ich ihm uneingeschränkt Recht geben. Schlapp und bewegungslos hingen die Ventilatoren an den Wänden, und salziger Schweiß tropfte in mein Reisetagebuch, als ich mir Notizen machte. Schließlich wurde ich so matt, dass ich mich auf eine Bank in irgendeinem Museumsraum legte und sofort einschlief. Weder Wärter noch Besucher waren weit und breit zu sehen.

Ich erwachte nach etwa einer Stunde vollkommen durchgeschwitzt und verließ das Museum mit rasenden Kopfschmerzen. Draußen rettete ich mich in den Schatten von Kim´s Snack Bar und revitalisierte mich notdürftig bei einem Tschai und wenigstens ansatzweise zirkulierender Luft.   Auf der anderen Straßenseite, direkt vor dem Museumseingang, stand die berühmte „Zam Zammah“, die große Kanone, mit deren Beschreibung Rudyard Kiplings Roman „Kim“ began. Wie unzählige Angehörige meiner Generation hatte ich als Kind anhand der Abenteuer des kleinen Kimball o`Hara in der großen Stadt Lahore eine erste Ahnung von den Zaubern des Orients erhalten. In Kimball o´Haras Zeit mochte die Stadt vielleicht eingie Zehntausend Einwohner besessen haben. Heute waren es Millionen. Auch die große Kanone war längst durch ein  stabiles Gitter und einen Graben in den Bereich des Musealen entrückt.  Anstelle der Straßenkinder  trafen sich heute  fliegende Händler,  Fremdenführer, Geldwechsler, Taxifahrer, Schuhputzer und Schlepper im Umkreis der Zam-Zammah, immer bereit, vom spärlichen Strom der Touristen ein paar Rupien abzuzapfen. Da ich an diesem Tag der einzige Tourist war, machte ich dass ich davonkam, ehe ich identifiziert werden konnte.

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