
Friedrich Sieburg, der mit Abstand bedeutendste Literaturkritiker der Fünfziger und Sechziger Jahre beschreibt in dem vorliegenden Buch das Drama dieser 100 Tage mit psychologischem Verständnis, Sachkenntnis und unverkennbarer Anerkennung für die Größe des Protagonisten, ohne die Augen vor Napoleons Schwächen zu verschließen. In einer Mischung aus Roman, Essay und exakter Geschichtsschreibung, die den Leser von der ersten bis zur letzten Seite fesselt, haben neben dem großen Mann auch Dutzende anderer Akteure ihren Auftritt: Fouché, Talleyrand, Carnot, Marschall Ney, Ludwig XVIII, Zar Alexander I, Blücher, Wellington und viele mehr erscheinen als individuell motivierte Handlungsträger auf der Bühne eines Verhängnisses, das am Ende 40.000 französischen Soldaten das Leben kostet.
Da Sieburg in den chronologisch entfalteten Handlungsfaden immer wieder Rückblicke und Reflexionen einstreut, ergibt sich für den Leser ein Überblick über die gesamte Revolutionsepoche, ihre Höhen, Tiefen und Zweifelhaftigkeiten. Allerdings lässt sich für Sieburg das Phänomen Napoleon nicht einfach unter die Rubrik der Großen Revolution subsummieren. Es weist weit darüber hinaus in die Dimension geschichtlicher Größe, die keine Setzungen und Regeln anerkennt und für sich beansprucht, die Welt nach ihrem Bild zu formen. In diesem Verständnis war Napoleons Lebensziel weder Frankreich, noch Freiheit oder Gleichheit – es war der Ruhm, „der den Genuss der eigenen Person bis zur Trunkenheit steigerte“ (S. 87). Was Napoleons Verhältnis zu Frankreich betrifft, so war es im Kern nicht patriotisch sondern instrumentell – es folgte einer geheimen Grundeinsicht aller Despotien ( die Sieburg in unverkennbarer Anspielung auch an das nationalsozialistische Verhängnis in Deutschland formuliert ): „Klein sein, ist ein geheimer Kummer, aber zu wissen, warum man klein ist und der eigenen Geringfügigkeit einen künstlichen Sinn zu geben, das zwingt die Völker immer wieder vor dem Übermaß, das oft nur ein Unmaß ist, in die Knie und macht sie für künftige Untergänge reif.“(S. 321). Diese und ähnliche Aphorismen, über das ganze Buch in verschwenderischer Fülle verstreut, erheben das Buch in einen literarischen Rang, der nach Sieburg von keinem historiographischen Werk mehr erreicht worden ist.