Trost: Das blieb vom Doppeladler

Trost Das blieb vom DoppeladlerDie Vernichtung der Donaumonarchie erscheint im Rückblick – so Winston Churchill – wie die „Kardinaltragödie des 20. Jahrhunderts“. All die kleineren und mittelgroßen Völker des Donauraumes wie Tschechen, Slowaken, Slowenen, Rumänen, Ungarn, Kroaten, Bosniaken, aber auch die Polen, zeitweise sogar die Norditaliener, die Serben und Ruthenen, konnten einen Wimpernschlag der Weltgeschichte lang unter der Herrschaft eines deutschen Kaiserhauses ihre nationalen Sonderheiten relativ frei und selbstbestimmt ausleben. Ein Kaiser im fernen Wien und eine korrekte Verwaltung sorgten für Gerechtigkeit und Auskommen im Schatten der großen Mächte. Dann dauerte es nur wenige Jahrzehnte, und in das Vakuum, das der Zusammenbruch der Vielvölkermonarchie hinterlassen hatte, waren der deutsche und der russische Totalitarismus hineingeströmt, um die Völkerfamilie des ehemaligen Habsburgerreiches gnadenlos zu knechten.
008Vor dem Hintergrund dieser geschichtlichen Entwicklung und vor allem der Perspektive der sich anbahnenden europäischen Einigungsbewegung erscheint die Habsburgermonarchie heute weniger wie ein „verspäteter“, sondern eher wie ein „verfrühter Staat“, wie eine föderale Vorwegnahme dessen, was heute in ungleich größerem Rahmen unter dem Schirm der Europäischen Union versucht wird.
Das ist in kurzen Worten die Perspektive des vorliegenden Buches, das inzwischen selbst schon wieder ein historisches Dokument geworden ist. Denn die Reise, die Ernst Trost Mitte der Neunzehnhundertsechziger Jahre ein halbes Jahrhundert nach dem Untergang der Habsburgermonarchie durch die ehemaligen Provinzen des Habsburgerreiches unternahm, ist nun auch schon wieder ein halbes Jahrhundert her. Der Sowjetkommunismus, der sich 1960 wie Mehltau über die Relikte der guten alten Zeit“ gelegt hatte, ist heute gottlob Geschichte – die Erinnerung an die k.. u. k. Monarchie aber lebt, verborgen in den Sammlungen von Hobbygeschichtlern, offensichtlich in der großbürgerlichen Architektur von Agram, Brünn, Krakau, Prag, Budapest und Laibach und blühend in der Phantasie historischer Nostaliker, die kurz vor dem einhundertjährigen Jubiläum des habsburgischen Reichszusammenbruches sich an den geschichtlichen Reminiszenzen berauschen.
Zu den Nostalgikern der letzteren Art gehört sicher auch der Autor, der den Leser mit viel Anteilnahme und Einfühlungsvermögen an die Hand nimmt und durch den „Kontinent Österreich“ zwischen Krakau und Sarajewo, Bregenz und Lemberg, Triest und Kronstadt führt. In Gödölo besucht er ein Altersheim, das dereinst ein Schloss der Kaiserin Sisi war, mitten in Jugoslawien ( auch schon wieder von der Landkarte verschwunden) erkundet er die noch immer spürbaren Grenzen an der Sawe. In Czernowitz und Tarnopol verzweifelt er am fortschreitenden Verfall der Vergangenheit unter der kommunistischen Vulgarität, in Agram spricht er mit den Nachfahren bosniakischer Agas, auf die sich die Österreicher dereinst stützten, womit sie die christlichen Serben Bosnien-Herzegowinas verhängnisvollerweise in die Arme Belgrads trieben. Auf Schritt und Tritt begegnen dem Reisenden große Geschichte im Kleinen und Kleines, das die Große Geschichte wieder spiegelt. Ich habe dieses Buch auf insgesamt drei Osteuropareisen durch alle Regionen der alten k.u. k. Monarchie wie einen Cicerone mit mir geführt und kann es all denjenigen, denen die Vergangenheit im Interesse der Zukunft am Herzen liegt, nur empfehlen. Danke, Michael, für dieses Buchgeschenk. Wen die neueste Entwicklung interessiert, der kann hier weiterlesen.

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