Von Schwarzenfeld: Karl V. – Ahnherr Europas

Von Schwarzenfeld Kalr V Ahnherr EruopasIm Frühjahr 1948 reiste die Schriftstellerin Gertrude von Schwarzenfeld zwei Monate lang durch Spanien. Sie besuchte zuerst den Escorial, Madrid und Toledo und wandte sich dann nach Andalusien, nach Granada, Sevilla und Cordoba. Überall begegnete ihr die Kaisergestalt Karls V ( in Spanien Carolus I), so dass aus dem ursprünglich geplanten Reisebuch eine reisefeuilletonistische und kulturgeschichtlich angereicherte Biographie des letzten wirklichen europäischen Kaisers geworden ist.
Für Gertrude von Schwarzenfeld ist Karl eine eminent mittelalterliche wie auch moderne Erscheinung – mittelalterlich, weil Karls Gerechtigkeitssinn, seine Ritterlichkeit und seine Gläubigkeit ihn von Franz I und Heinrich VIII, den gerissenen Konkurrenten seiner Zeit, gründlich unterschied. Modern, weil er k (52)eine Einheit Europas beschwor, die nach zur Zeit der Abfassung des Buches, im Moment der europäischen Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg, gleichsam auf der Tagesordnung der Geschichte stand.
Wie wird die Gestalt des Kaisers in dem vorliegenden Buch präsentiert? Nicht chronologisch sondern topologisch und zwar so, dass die Autorin die Kirchen, Klöster, Museen, Städte und Paläste, die sie besucht, als Material heranzieht, mit dem sie die verschiedenen Etappen von Karls Leben beschreibt. So folgen wir Karl V und Gertrude von Schwarzenfeld durch Toledo, Madrid, dem Escorial, sehen den großen Renaissancepalast des Kaisers gleich neben der Alhambra von Granada und enden schließlich in Yuste, dem Alterssitz des Kaisers, wo er von seinem Gichtstuhl aus den Gleichklang seiner Uhren überwachte. So ungemein reizvoll dieses Verfahren für jeden Spanienreisenden sein mag – für eine universale Betrachtung des Kaisers bedeutet diese Zugangsweise natürlich eine Beschränkung. Wo sind Brügge, Worms, Tunis oder Rom? mag man fragen. Auf der anderen Seite erlaubt diese Methode der Autorin jeweils vor Ort problemlos in die Gegenwart zu springen und aktuelle Exkurse in den Text einzuflechten, die ihre Perspektive ausgeweiterer darzustellen. So notiert sie etwa bei ihrem Besuch des Escorial und einer Erörterung der innerspanischen Aufstände, der sich Karl V und sein Sohn Philipp II zu erwehren hatten: „Karl V empfand wohl jeden Aufstand gegen seine Autorität als rot, Dante empfand wohl die Bewohner des Infernos als rot und die heilige Catharina von Siena empfand wohl ihr falsches Selbst als rot, das sie zu den Feinden Gottes zählte. Das Rote ist der Aufstand der Ichsucht, es ist der dumpfe Hass gegen das Hohe, es ist die Verleugnung der Gnade. Heute kommt das rot in der Tarnung des Fortschritts zu uns.“ (S. 107/108) Kein Wunder, dass Gertrude von Schwarzenfeld der Tragödie Spaniens, der sie als Reisende auf Schritt und Tritt begegnet, dem Spanischen Bürgerkrieg, eine heute politisch eher inkorrekte Bewertung zukommen lässt. Für sie war der Spanische Bürgerkrieg kein Kampf von gut und böse sondern ein Aufstand der Ungläubigen gegen das katholische Wesen Spaniens, er war der späte Triumph dessen, was Karl V in Europa nicht verhindern konnte nun auch in Spanien selbst. Wie immer man zu dieser sehr konservativ-katholischen Sichtweise auch stehen mag, so ist es doch bedrückend in dem vorliegenden Buch nachzulesen, welche viehischen Massaker die so freiheitsfreudigen Linken und Anarchisten an wehrlosen Nonnen und Pfarrern begingen – auch deswegen, weil in den heutigen Darstellung diese Dimension des Spanischen Bürgerkrieges vom siegreichen Zeitgeist vollkommen unter den Teppich gekehrt wird.

k (54)Am Ende, als der alte Kaiser in Yuste seine langen Briefe an Sohn und Tochter verfasst, ahnt er bereits, dass er den großen Kampf um Europas Einheit verloren hat. Alle Mühen, im Konzil von Trient eine neue Einheit des Christentums zu schaffen, waren an der Intransigenz von deutschen Fürsten, der Hinterlist Heinrichs II von Frankreich und der Dummheit der Päpste zuschanden geworden. Der Protestantismus blieb in der Welt und aus ihm heraus – so die Autorin – entwickelten sich in seiner Absetzung vom Katholizismus alle Formen der Zwietracht, die die weitere Geschichte Europas prägen sollten. Dass übrigens das gegenwärtige Europa der Europäischen Union ganz sicher nicht in der Tradition Karls V steht, lässt sich schon daran erkennen, dass sie jegliche Art von Gottesbezug aus ihrer geplanten Verfassung gestrichen hat.
Man sieht, Gertrude von Schwarzenbergs Buch über Karl V ist hochgradig unzeitgemäß und gerade deswegen heute mit großem Gewinn zu lesen – auch wenn man sich nicht alle seine Thesen zu eigen macht. Für jeden kulturinteressierten Spanienreisenden ohnehin allererste Wahl.

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