Mauriac: Fleisch und Blut

Mauriac  Fleisch und BlutWer heute Michel Houllebecq liest, dem werden viele der Nuancen und Fragestellungen Francois Mauriacs (1885-1970) auf eine geradezu kuriose Weise obsolet erscheinen. Doch der rapide Verfall der sittlichen Ordnung, die heute gerne als „Individualisierung“ und „Emanzipation“ gefeiert wird, war auch schon zu Mauriacs Zelten spürbar und wurde von dem französischen Nobelpreisträger auf eine sensible und beeindruckende Weise verarbeitet. „Seit langem kannte er diese grausame Fähigkeit an sich, anstelle eines Gefühls, das er für tief gehalten hatte, in sich nur noch ein Loch, eine Leere zu finden.“(S. 66), heißt es über den jungen Edward, eine der Zentralgestalten des vorliegenden Buches „Fleisch und Blut“, der in seiner ganzen Verlorenheit fast.  wie eine Vorwegnahme der Houllebecqschen Trauergestalten daherkommt. In dieses „Loch,“ das Zentrum seiner nihilistischen Subjektivität, wirft der unselige Edward so viel Zerstreuung wie nur möglich hinein, flache Liebschaften, nichts sagende Konversationen und lauwarme Begierden, die schon im Moment der Entstehung mit Verachtung durchtränkt sind. „Sie hat den Nacken einer Kanaille“, sinniert Edward über seine Geliebte Edith und mutmaßt „dass sie schon vor Ablauf von fünf Jahren die Hängebacken und das Doppelkinn alter Frauen haben würde.“ S. 74). Doch ganz ähnlich wie bei Houllebecq richtet dieser Selbst- und Lebensekel die Menschen, die an diesen Symptomen leiden, unweigerlich zugrunde. Im vorliegenden Buch ist der unglückselige Edward weder so witzig noch so stark, um seiner Umgebung auf die Dauer über die desolaten Züge seiner Persönlichkeit  hinwegzuhelfen. Er vereinsamt und endet – verstoßen von seiner Schwester May und abgehängt von seiner Geliebten – in einem Provinzhotel als Selbstmörder.

Etwas komplizierter erscheint da schon die Geschichte von Claude, der seine Priesterausbildung abgebrochen hat um als Landarbeiter auf ein Weingut des Bordelais zurückzukehren. Hier gerät der noch immer gläubige und gewissenhafte Claude für kurze Zeit in den Bannkreis des trüben Edward und seiner Schwester May. Claude und May durchleben eine Phase keuscher Verliebtheit, die May von ihren  Flausen erlöst und in eine traditionelle Ehe ( mit einem anderen!) treibt, während Claude liebeskrank bis an den Rand des Todes wird und nur durch seine Vitalität und die harte körperliche Arbeit im Weinberg überlebt.

Wie man sieht, eine durch und durch altertümliche Geschichte, die möglicherweise gerade deswegen angesagter ist als es die meisten wahrhaben wollen – zugleich auch eine Warnung davor, alle Werte und Götter in sich abzutöten, weil dann nur noch ein Nichts übrig bleibt, das auszufüllen alle Lüste der Welt nicht ausreichen werden.

 

 

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