Bernhard: Meine Preise

Draußen war es nass und kalt die Stimmung war schlecht, das Befinden durchwachsen. Da griff ich zu Thomas Bernhard, und gleich ging es mir besser. Ich hörte „Meine Preise“, gelesen von Claus Peymann, und spürte, dass Bernhards hintergründiger Humor und seine brillanten Schimpftiraden mir gut taten. Mir gefiel, dass sich Thomas Bernhard vor der Verleihung des Grillparzer-Preises bei „Sir Anthony“ in Wien einen neuen Anzug kauft, um ihn nach der Preisverleihung wieder umzutauschen . Niemand erkennt ihn, als er mit diesem neuen Anzug und seiner Tante in den Festsaal kommt, die anwesende Ministerin schläft ein und schnarcht leise – um nach ihrem Aufwachen, bei der anstehenden Diskussion, danach zu fragen. „Ja, wo ist er denn, der Dichterling?“ In der zweiten Geschichte reist der gerade erst  von einer Kehlkopferkrankung genesende Bernhard nach Regensburg, um die „Ehrengabe des Kulturkreis des Verbandes der deutschen Industrie“ entgegenzunehmen. Er hat von diesem Kulturkreis noch niemals etwas gehört, ist aber so blank, dass er die 8000 € Preisgeld gut brauchen kann, wenngleich ihm die Preisverleihung aufs Äußerste missfällt. „Augsburg, Würzburg Regensburg, wie hasse ich diese mittelgroßen Städte, in denen der Stumpfsinn warm gehalten wird,“ schimpft der Meister schon im Vorfeld. Als er die Ehrengabe des Kulturkreises der deutschen Industrie zusammen mit einer Dichter-Kollegin erhält, wird er vom Verbandspräsidenten von Bohlen und Halbach als „Frau Bernhard“ vorgestellt, ohne dass es groß auffällt.

Hier wie auch bei den anderen Preisverleihungen beschränkt sich Bernhard nicht auf die Beschreibung der eigentlichen Ehrungen, sondern erzählt sehr viel aus dem Vorher und Nachher, so dass sich aus der Reihenfolge seiner Preise fast eine kleine Biografie ergibt. Ein Fixpunkt dieser Biografie sind Bernhards notorische finanziellen Engpässe, so dass der Dichter die Preise in der Hauptsache wegen der Preisgelder schätzt.  Mit dem „Literaturpreis der Stadt Bremen“, den er für seinen Roman „Frost“ erhält, kaufte er sich eine alte Bauernkarte, die er selber renoviert. Mit dem Preisgeld des „Julius Campe Preises“ erwarb er einen Triumph „Harold“, den er leider schon nach 1200 km zu Bruch fuhr. All das wird in einer höchst vergnüglichen Weise erzählt, denn  anders als in seinen Romanen und Erzählungen kultiviert Bernhard in „Meine Preise“ eine distanzierte Selbstironisierung seiner eigenen, wankelmütigen Persönlichkeit, die überzeugt und belustigt.  So läuft er wie ein Pfau durch die Stadt Wien und wundert sich darüber, dass die Passanten ihn nicht darauf ansprechen, dass er den „Julius Campe-Preis“ erhalten hat.

Ein Höhepunkt der Preisverleihungs-Geschichten ist zweifellos die Schilderung der der Verleihung des „Kleinen Staatspreises der Republik Österreich“.  Schon die Tatsache, dass es nur der „kleine“ und nicht der „große“ Staatspreis war, „würgt“ den Dichter, ganz abgesehen davon, dass er das Auswahlgremium des Kleinen Staatspreises – die Ansammlung aller bisherigen Staatspreisträger –  für ein Gremium aus „lauter Arschlöchern“ hält, so dass er keine Lust verspürt, selbst als gewähltes Arschloch in dieses Gremium einzutreten. Bei der Preisverleihung selbst komm es zum Eklat. Als Bernhard eine staatskritische Rede hält, stürzt der anwesende Minister empört aus dem Saal, und die ganze „Subventionsmeute“ folgte ihrem „Futtergott“.

Als Bernhard den „Anton Wildgans-Preis“ erhält, ist er sich nicht sicher, ob er ihn  annehmen soll, denn Anton Wildgans, so Bernhard, ist ein „Vorstadt-Hölderlin“, dessen Beschränktheit ideal zu seiner ebenso beschränkten österreichischen Leserschaft passt.  Trotzdem nimmt er den Preis schließlich an, denn von dem Preisgeld von 25.000 Shilling („Was für eine unverschämt niedrige Summe“, ärgert sich Bernhard) kann er sich neue Fensterrahmen kaufen und Heizkosten sparen. Anlässlich des „Verleihung des Literaturpreises einer kaufmännischen Wirtschaftskammer in Hinter-Österreich trifft Bernhard einen Herrn Heidenheimer wieder, der ihm vor 30 Jahren als Prüfer seine Kaufmannsgehilfenprüfung abgenommen hatte. Der Kammerpräsident höchstselbst hatte seinen ehemaligen Prüfling für die Ehrung vorgeschlagen, leider starb er 15 Tage nach der Preisverleihung an Krebs.
Im Zusammenhang mit der Verleihung des Georg Büchner Preises, der höchstrangigen literarischen Auszeichnung im deutschsprachigen Raum im Jahre 1970 äußert sich Bernhard zur bereits wieder abebbenden Studentenrebellion. Sie sei ein den Franzosen abgeschautes „belangloses Spiel der intellektuellen Langeweile“ gewesen, nach der die Verhältnisse in Deutschland schlechter waren als vorher Was für ein launiges, was für ein grottenfalsches Urteil. Was Georg Büchner betrifft, ist Bernhard voll des Lobes über den Dichter, will aber „keine faden Fäden von der Existenz des Großen zu sich selbst ziehen“.  Am Ende des Hörbuches  kommt der Dichter dann doch noch selbst zu Wort und spricht darüber, dass Europa, „dieses große Märchen“ erwacht sei, das er selber erwacht sei in einer katastrophalen Zeit, in der er nicht so recht wisse, welchen Sinn seine Existenz noch habe. Kein Wunder, dass ihn der Atomphysiker Werner Heisenberg, der mit ihm zusammen gehrt wurde,  beim Festessen fragte, warum die Dichter die Welt immer mit so traurigen Augen sehen müssten, denn die sei gar nicht so.
Am Ende dieses äußerst unterhaltsam Hörbuchs stellte ich mir die Frage, was es mir jenseits der reinen Unterhaltung gebracht hatte. Gibt die Welt, wenn man sie nur kräftig beschimpft, mehr von sich preis, als man auch ohne die Beschimpfung über sie wüsste? Ich habe keine Ahnung. Skeptisch stimmt mich  die Beliebigkeit der Urteile, die je nach Gemütslage von einem Extrem ins andere pendeln. Was ist Pose, was ist Humor, was ist ernst gemeint? So fand ich auf diese Frage, keine Antwort, außer dass Thomas Bernhard  ein Meister der Sprache, ist und ist es dann nicht fast egal, was er sagt?

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