Gerhard Löwenthal: Ich bin geblieben

DLöwenthal Ich bin gebliebenie Geschichte wird von den Siegern geschrieben, und so erschien es uns lange wie eine wunderbare Wendung des Schicksals, dass Willy Brandt an der Spitze seiner sozialliberalen Recken nach dem Machtwechsel von 1969 in Deutschland den Muff der Adenauerzeit beendete, die Gesellschaft modernisierte, den Sozialstaat ausbaute und die Demokratie zu ihrem vorläufigen Höhepunkt führte. Ich selbst war als Jugendlicher selbst ein Teil dieser „Willy Willy“ Euphorie und kam nie auch nur auf die Idee, dass die hilflosen Widerständler jener Tage etwas anderes sein konnten als miese Finsterlinge und Halunken. Erst heute, anderthalb Menschenalter nach dieser Zeit, wo der vom linken Gutmenschentum aufgeweichte Staat vor seinem finanziellen und ethischen Bankrott steht, erst heute, wo die Verunglimpfung der Leistungsethik ein Millionenprekariat von verwahrlosten Jugendlichen und Erwachsenen hervorgebracht hat und die Scheidungszahlen die Zahl der Erstheiraten bald überholen werden, wird man sich der verhängnisvollen Weichenstellungen dieser Jahre bewusst. Ein Grund mehr, sich für diejenigen zu interessieren, die sich schon damals dem schier unbezwingbaren Zeitgeist in den Weg zu stellen suchten. Eine solche Gestalt ist der deutschjüdische Journalist Gerhard Löwenthal (1922-2002), der in dem vorliegenden Buch seine Erinnerungen“ vorlegt.

Im ersten Teil des sehr engagiert verfassten Buches beschriebt Löwenthal seine Jugend im Dritten Reich, die er nur mit Glück überlebte. Nach dem Krieg absolvierte er in der jungen Bundesrepublik eine Bilderbuchkarriere beim Fernsehen, ehe er 1969 Chef der ZDF Magazins wurde und damit seine historische Rolle fand. Diese Zeit als Moderator des ZDF Magazins zwischen Januar 1969 bis Dezember 1987 bildet nicht nur den Schwerpunkt der „Erinnerungen“ sondern in ihrer besonderen Perspektive nicht mehr und nicht weniger als eine andere Geschichte der Bundesrepublik, deren Lektüre man allen ehemaligen „Willy-Wählern“ wie einen Bußgang ans Herz legen sollte. Natürlich ist das Buch nicht frei von Einseitigkeiten, doch es ist frappierend zu lesen, mit welcher Unbedenklichkeit die lupenreinen Demokraten von der Linken nach 1969 daran gingen, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und Werte umzukrempeln, wie vollständig sie bei den Verhandlungen zu den Ostverträgen gegenüber der UdSSR wesentliche Rechtspositionen aufgaben, mit welchen Kampagnen die eigenen Nachrichtendienste überzogen oder mit welcher Stringenz die Lehrpläne an den Schulen mit libertären Parolen durchsetzt wurden. Über die Stasi Kanäle der DDR wurden mit Hilfe des sozialdemokratischen (!)Ministers Egon Franke Pressionen gegen eine DDR-Hilferuf-Aktionen im ZDF Magazin auf den Weg gebracht, und Horst Ehmke, der noch in den frühen Sechzigern in der Spiegelaffäre Elogen auf die Pressefreiheit formuliert hatte, rückte dem unabhängigen Journalismus des ZDF Magazins nun mit staatlichen Pressionen zu Leibe. In den Unis wurde Löwenthal vom linken Mob niedergeschrieben und erkannte in den so selbstgerechten und hasserfüllten Gesichtern der linken Kampfbrigaden den gleichen Fanatismus wie in den Visagen der Gestapo Häscher, die ihn beinahe umgebracht hätten. Schier unglaublich aber wahr ist die Geschichte von der Jungrichterin, die einen linken Studenten, der Löwenthal ins Gesicht geschlagen hatte, nur zu einer symbolischen Strafe verurteilte und noch lobende Worte für den politisch mit Recht empörten jungen Mann fand.

Das Buch ist voller solcher Geschichten, die mit klar ausgewiesener Parteilichkeit dargestellt werden. Möglich, dass der Autor hier und da übertreibt, möglich auch, dass die Kleinschrittigkeit, mit der er alle nur denkbaren Verfehlungen der sozialliberalen Regierung nachzeichnet, seinem Anliegen eher schadet, trotzdem leistet die im Jahre 2002 aus Anlass seines Todes wieder neu aufgelegte Autobiographie einen Beitrag zu einer längst fälligen Neubewertung der 68er Zeit, die heute nötiger ist denn je. Schade, dass Löwenthal seine Erinnerungen auch in der Neuauflage im Jahre 1987 enden lässt. Man hätte doch gerne gewusst, was er zur Wiedervereinigung des Jahres 1990 gesagt hätte und was es für ein Gefühl für ihn gewesen sein mag, als im Jahre 1998 ein ehemaliger Jusovorsitzender und Stamokap Theoretiker und ein Straßenkämpfer aus der hessischen Spontiszene Kanzler und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland wurden.

2 Gedanken zu „Gerhard Löwenthal: Ich bin geblieben“

  1. Vielleicht nicht gerade verboten, aber es gäbe einen solchen Shitstorm, dass die Sendung abgesetzt würde

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