Lehnert/Mann: Das andere Deutschland

Lehnert Mann Das andere Deutschland 51+8t5GEnxL._SX276_BO1,204,203,200_Die Turbulenzen auf der Frankfurter Buchmesse 2017 haben gezeigt, dass sich  das Meinungsmonopol des linken Lagers  seinem Ende zuneigt. Noch können rechte Verlage stigmatisiert werden, aber es funktioniert nicht mehr so gut wie früher. Es gibt frechen Widerspruch von Seiten der Neuen Rechten, der sich nicht mehr ohne weiteres wegbürsten lässt „Nun sind sie halt da“, könnte man mit Angela Merkel sagen, und für die Zivilgesellschaft stellt sich die bange Frage „Was tun?“ Aber auch die „Rechten“, was immer das im Einzelnen auch bedeuten soll, beginnen mit einer neuen Art der Selbstvergewisserung in der sicheren Erwartung kommender Auseinandersetzungen. In diese Kategorie gehört das vorliegende Buch.

Folgt man Erik Lehnert und Wiggo Mann ist die Lage unübersichtlich, aber nicht mehr hoffnungslos, denn die Missstände schreien derart zum Himmel, dass die üblichen Beschwichtigungsapparate versagen. Ein disparates Oppositionslager hat sich gebildet, das nach Sichtung und Einordnung verlangt. Einig ist sich dieses Lager in der Ablehnung des rotgrünen Mainstreams, ansonsten sind die Unterschiede beachtlich. Lehnert und Mann rubrizieren nicht weniger als neun Phänotypen aus dem oppositionellen Lager, die insgesamt ein instruktives Gesamtbild der disparaten Kräfte bieten, aus denen sich das mainstreamkritische Lager speist.

Es beginnt schon mit dem (1) Konservativen, dessen Typus  interessanterweise in Anlehnung an die literarische Figur des Starbuck in Melvilles „Moby Dick“ begriffen wird. Der Steuermann Starbucks ahnt das Verhängnis, in das Kapitän Ahab und seine Jagd auf den weißen Wal das ganze Schiff steuern wird, er widerspricht heftig, kann sich aber letztlich nicht zur Revolte entschließen und folgt dem Kapitän nolens volens in den Untergang. Erheblich sympathischer kommen (2) die jungen Aktivisten daher, lauter Leute, die mit Jüngers „grünem Ekel“ vor der Macht infiziert sind und die nichts zu verlieren haben. Die Identitären lassen grüßen. (3) Mit Vorsicht zu genießen sind die Ex-Linken, von denen es mittlerweile auf der rechten Meinungsseite eine ganze Menge gibt. Es sind Leute, die ihr Linkssein überwunden haben, nicht aber ihren marxistisch gefärbten Antikapitalismus. Sie tendieren nicht nur zur Besserwisserei und Überheblichkeit sondern möglicherweise auch zur Systemanpassung, wenn sich die Verhältnisse nur ein wenig bessern. Botho Strauß, „der letzte Deutsche“ ist (4) der Resignative. Der Resignative will vor allem sein eigener Herr sein, er versagt sich das Mitläufertum, ist aber letztlich passiv, weil er nicht an die  Möglichkeit eines Umsturzes glaubt. Immerhin gibt es auch einen aktiven Resignativen wie etwa den Ernst Jünger der „Marmorklippen“, der sich nur zurückzieht, um auf den rechten Moment, den kairos, zu warten. Dirk Kurbjuweit hat am Beispiel der Auseinandersetzungen um „Stuttgart 21“ den Typus des (5) Wutbürgers definiert. Er ist vorwiegend lokal und unmittelbar orientiert und darf, wenn seine Anliegen im klassischen Sinne „links“ oder „grün“ sind, mit wohlwollender Zustimmung der Medien rechnen. Verfolgt er aber patriotische Ziele wird er zum „Deppen,“ zum „Pack“ oder zum Fußvolk eines ominösen „Dunkeldeutschlands“. David Walden Thoreau ist der Prototyp des (6) Aussteigers, der viel Ähnlichkeit mit dem Resignativen hat. Der Unterschied liegt für die Autoren in der Fähigkeit der Aussteiger ein eigenes Milieu, eine Lebenswelt bilden, die die Gesellschaft beeinflussen kann. Allerdings scheint es der typische Aussteiger jenseits der Welt nicht lange auszuhalten. Thoreau beendete sein Exil nach  zwei Jahren, und auch der Unabomber, dessen Exil in Montana stark an Thoreau erinnert, begann nach einer Inkubationszeit aus der selbstgewählten Einsamkeit heraus seine Bomben zu verschicken.  (7) Der Metapolitiker ist der prinzipientreue Analytiker, der die Zusammenhänge sehr klar überblickt, aber völlig unfähig ist, sie im politischen Gerangel durchzusetzen. Kein Zufall, wer hier an den Fall  Martin Heidegger und seine Rektoratsrede aus dem Jahre 1933 denkt Metapolitiker sind Stichwortgeber im Hintergrund, die die Theorie entwerfen. Ein anderes naheliegendes Beispiel für einen Metapolitiker wäre der deutsche Sozialwissenschaftler Max Weber, ein glänzender Analytiker des Politischen ohne jede praktisch-politische Begabung Wo die Metapolitiker aber fehlen, herrscht geistige Dürre – wie etwa 1989, als die Linke total abgewirtschaftet hatte, der „rechte Weizen“ aber nicht blühen konnte, „weil nichts gesät worden“ war.   Am Beispiel  der AfD weisen die Autoren nach, dass ein ganz wesentlicher, möglicherweise der entscheidende Teil der derzeitigen Oppositionspartei (8) „Parteisoldaten“ waren, die sich aus Enttäuschung von ihren Parteien abgewandt hatten. Sie wissen, dass politische Veränderungen  ohne Parteien nicht funktionieren können und sind politisch mit allen Wassern gewaschen, opportunistisch und karriereorientiert. Etwa die Hälfte aller Landtagsabgeordneten der AfD waren vorher in bei der  Union, aber sehr viele auch bei der SPD und den Liberalen aktiv. Last not least gibt es noch den (9) Klabautermann oder den „Querulanten“, der sich auf die Hinterbeine stellt und so oft er kann, Sand in das Getriebe der etablierten Machtverhältnisse wirft. Im 19. Jhdt. gehörte Thoreau mit seiner Weigerung, als Nichtwähler die Wahlsteuer zu bezahlen in diese Gruppe  („Von der Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“), heute bildet der Großteil der Zwangsgebührenverweigerer dieses Lager. Auch Thor von Waldsteins Essay „Zum politischen Widerstandsrecht der Deutschen nach Artikel 20 IV“ kann als eine Anleitung zum emanzipatorischen Qurerulantententum gelesen werden.

Konservative, Aktionisten, Ex-Linke, Resignative, Wutbürger, Aussteiger, Metapolitiker, Parteisoldaten und Querulanten gehören mit gleichem Recht in das große, schwer überschaubare neurechte Lager. Es spricht für das Selbstverständnis der Autoren und der Neuen Rechten, dass Nazis selbstverständlich nicht dazugehören, was allerdings die linken Kritiker nicht daran hindern wird, alle neun Typen als Erscheinungsformen eines neuen Nazitums zu denunzieren.  Jeder Typ, so die Autoren,  besitzt spezifische Ressourcen, die für die Gesamtbewegung nutzbar gemacht werden können. Deswegen raten sie: nicht ausschließen und sich nicht spalten lassen, gemeinsam wachsen und das Staatschiff zum Besseren wenden  Dass übrigens manche der vorgestellten Typen, etwa der Querulant oder der Parteisoldat, ihre Energien selbstzerstörerisch nach innen wenden, muss immer mitbedacht werden.

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