Schulze: Adam und Evelyne

Ingo Schulzes neuer Roman hat in der Rezeption der Kritik ein überwiegend positives Echo eingefahren. In 3Sat Kulturzeit wurde das Buch wärmstens empfohlen, und dass des Roman es bis auf die Shortlist des deutschen Buchpreises schaffen würde, konnte Niemanden  überraschen. Denn der metaphorische Fokus des Werkes ist originell: der Auszug der Menschen aus der untergehenden DDR erscheint am Beispiel von Adam und Evelyne wie der Auszug von Ahnungslosen aus einem vermeintlichen Paradies.

So weit so verheißungsvoll. Wie aber ist der metaphorisch beeindruckende Rahmen literarisch ausgefüllt? Auf den ersten einhundertdreißig Seiten wird dazu keine Antwort gegeben. Stattdessen wird die Geschichte eines Schneiders mit dem Spitznamen Adam (wegen eines Adamsapfels) erzählt, der den Frauen wunderschöne Kleider näht und sie, wenn sie seine Kreationen tagen, gerne beschläft. Seine Freundin Evelyne platzt überraschend in ein solches Schäferstündchen hinein und zieht empört von dannen. Wohin? Natürlich nach Ungarn, wo sich gerade damals im Sommer 1989, viele DDR-Bürger versammeln, die nur auf eine Möglichkeit lauern, das Arbeiter und Bauernparadies zu verlassen.

Von diesem zeitgeschichtlichen Kontext aber ist in dem Buch kaum die Rede, stattdessen folgt die Handlung der Logik einer Irrungen-und-Wirrungen-Komödie. Adam reist seiner Evelyne in „Heinrich“, seinem Oldtimer-Trabant, hinterher, gabelt unterwegs die egozentrische Katja auf, ehe er dann am Balatonsee seine Evelyne wieder sieht. Soweit die ersten einhundert dreißig Seiten, die niemanden vom Hocker reißen werden. Dann taucht Michael auf, er ist zwar nicht der Erzengel, aber ein Westler, der der angesäuerten Evelyne die Verlockungen des Westens so prall vor Augen führt, dass sie mit ihm schläft und sogar eine Flucht in den Westen plant (also nicht der Erzengel, sondern die Schlange?). Nun steht Evelyne also nicht nur zwischen Adam und Michael, sondern auch noch zwischen zwei Ländern, und dass sie auch noch schwanger wird, ohne zu wissen, von wem, macht die Sache auch nicht einfacher. Immerhin bleibt sie am Ende doch bei Adam, der sich in seiner Liebe dazu verleiten lässt, mit Evelyne in den Westen bis zum spießigen Onkel Eberhand nach Bayern zu fliehen. Doch dieser Ortswechel macht den armen Adam dann doch traurig, er befindet sich mit einem mal in dem Land in dem das „zuviel“(Achtung: Erbsünde) das „Wesentliche“ (was ist das? die Schildkröte?) verschüttet. Doch eine Rückkehr in das Paradies ist ausgeschlossen, denn eine kurze Stippvisite in die Heimat findet das gemeinsame Haus verwüstet. Am Ende ziehen Adam du Evelyne in eine WG und beginnen als werdende Eltern ihr Leben von neuem.

Soweit die Geschichte von Adam und Evelyne, die sich auf etwa dreihundert Seiten locker herunter liest, ohne dass sich irgendwo eine sprachliche, formale oder inhaltliche Raffinesse ergäbe, die die Lektüre erschweren würde.  Die Charaktere sind ebenso flach wie der Balatonsee, die Situationsschilderungen mitunter stereotyp (man denke nur an den bösen Onkel Everhard), die Handlungsführung ist an Beliebigkeit kaum zu überbieten, und es ist erstaunlich, wie wenig die dramatischen Umbrüche der Zeit in das Buch hineinspielen. Die ganze Erzählung ist von der ersten bis zur letzten Seite privatistisch, was als ein Ansatz vertretbar sein mag, bei diesem Thema alleine aber nicht hinreicht.  Der anspruchsvolle metaphorische Rahmen, dem das Buch seinen Erfolg verdankt, wird literarisch nicht eingelöst. Adams Gejammer über die verlorene Heimat ist pure Ostalgie oder, einfacherer ausgedrückt, faule Anhänglichkeit an die Gewohnheit. Die alte DDR mit ihren einhunderttausend Stasi Mitarbeitern, mit Mauer und Schiessbefehl kommt in dem Buch praktisch nicht vor, stattdessen erscheint das Land,  in dem Adam und Evelyne leben,  als Schlechtwetterregion, der  gegenüber sich Adam am liebsten in die eigenen vier Wände zurückzieht, während Evelyne lieber in eine andere Klimazone flieht. Alles in allem also ein weit überschätztes Buch, dass man bei schlechtem Wetter durchaus lesen kann, wenn man gerade kein anderes zur Hand hat.

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